Alchemie der Unsterblichkeit
Werk«, erläuterte Icherios. »Geschrieben von Hermes Trismegistos, dem Begründer der Alchemie. Er schrieb mehrere hermetische Bücher. Zu seinen bedeutendsten gehören das Lunalion und das Solequium. Beide gelten als verschollen. Das Lunalion ist der dunkle Zwilling des Solequium und beschäftigt sich mit der Verwandlung, Erschaffung und Auflösung von Lebewesen. Das Solequium behandelt die Transmutation und Synthese von Materie.«
Sohon nickte. »Unsere Familie hütete das Lunalion, da wir es für nicht ratsam hielten, Menschen ein derartiges Wissen zu überlassen. Manch eine Gräueltat des Mittelalters geht auf dieses Buch und sein Gegenstück zurück. Was keiner ahnte, war, dass Balthasar seine Macht ebenso missbrauchte. Nicht nur, dass er die Irrlichter erschuf und schreckliche Experimente vollführte; ihm gelang es auch, das Licht zu verdunkeln. Seitdem wird das Gebiet um Dornfelde als das Dunkle Territorium bezeichnet. Er fuhr mit seinen Versuchen fort und wollte das Werk Hermes Trismegistos’ fortführen. Dabei veränderte er sich. Selbst für einen Vampir wurde er überaus grausam, brutal, mächtig und gefährlich. Sein Körper wandelte sich zu einem magiedurchtränkten untoten Wesen, einem Lich. Dragon fürchtete, dass seine Wandlung fortschreiten würde bis hin zu dem gottgleichen Geschöpf, das Hermes Trismegistos war. Schließlich rang er sich zu einem hinterhältigen Plan durch. Er brachte es nicht fertig, seinen Bruder zu töten, sondern sperrte ihn, so die Legende, in den Sarkophag und verbannte ihn zusammen mit dem Lunalion in die Katakomben. Das Lunalion ist auch heute noch hier, nur hätte ich nicht gedacht, dass Balthasar tatsächlich in diesem Sarkophag eingesperrt wurde.«
»Das Lunalion ist hier?« Icherios trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Was für einen Ruf er erlangen würde, sollte er mit dem legendären Buch nach Karlsruhe zurückkehren! Eine Zulassung zum Medizinstudium wäre kein Problem mehr, die Universitäten würden sich um ihn reißen.
Sohon stand auf und kniete sich vor das Kopfende des Sarkophages. Zu schnell, um seinen Bewegungen folgen zu können, entriegelte er einen Mechanismus und zog ehrfürchtig eine Lade hervor. Doch sie war leer! Sand bedeckte den Boden, in dem deutlich die Umrisse eines Buches eingedrückt waren.
»Es ist weg!« Sohon schleuderte die Lade an die Wand.
»Der Blutdämon hat sich dafür bedankt, befreit worden zu sein. Das bedeutet, er kann die Morde nicht begangen haben«, überlegte Icherios. »Vielleicht hat der Mörder das Lunalion gestohlen und führt nun einen alchemistischen Versuch durch?«
»Das würde erklären, warum er Ghoule erschaffen kann«, führte Kolchin den Gedanken fort, während er unruhig im Raum auf und ab lief.
»Und um was für ein Experiment handelt es sich?«, fragte Rabensang.
Icherios schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht sagen, nicht ohne Zugang zu dem Buch oder einer Bibliothek. Unser heutiges Wissen über die Alchemie ist vergleichbar mit den Kenntnissen eines Kleinkindes über die Astronomie.«
»In der Schlossbibliothek befinden sich zahlreiche wertvolle, alte Werke. Nun, da das Geheimnis aufgedeckt ist, kann ich Euch Zutritt gewähren.«
Rabensang blickte Sohon finster an. »Ich fasse es nicht, dass Ihr uns etwas Derartiges verschwiegen habt.«
»Es war streng vertraulich. Wann immer ein Familienmitglied eingeweiht wurde, musste es bei seiner unsterblichen Seele schwören, das Geheimnis zu wahren. Zu viel stand auf dem Spiel. Überlegt doch, was geschehen wäre, wenn jemand herausgefunden hätte, dass sich das Lunalion hier befindet. Ein Serienmörder wäre unser geringstes Problem.«
»Kommt darauf an, was der Mörder mit dem Buch vorhat.«
»Es macht wenig Sinn, das jetzt zu diskutieren«, unterbrach sie der Flurhüter. »Der Dämon rennt frei herum, und wir wissen nicht, was er im Schilde führt.«
Sohon lehnte sich seufzend an die Wand. »Ich weiß, was er als Erstes tun wird.«
Alle blickten ihn fragend an.
»Er ist durstig, er braucht Blut.«
Betroffenes Schweigen breitete sich aus. Rabensang stieß einen Fluch aus, dann rannte er zur Festung zurück. Icherios und Kolchin folgten ihm, doch der Werwolf war zu schnell. Die Luft brannte in Icherios’ Lunge. Am Schacht hielten sie an. Ein Windhauch kündete das Nahen des Fürsten an, der an ihnen vorbeiraste, die Leiter ignorierte und direkt die Mauer nach oben kletterte. Icherios’ Knie zitterten, als er die ersten Sprossen erklomm,
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