Aldebaran
gebrabbelt. »Elhamdüllillah rabilalemin irrahman irrahim, maliki yevmiddin …« Nie war er so erregt gewesen. Aysels Körper, so schön, so rein. Ihr Weinen. Diese Litanei. »Gepriesen sei der Herr!«, hatte er nach seiner Befriedigung gemurmelt.
Aysel hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen, sie weinte immer noch. Vorsichtig hatte er sie an den Handgelenken gefasst und sie gezwungen, ihn anzusehen.
»Jetzt gehörst du mir, weißt du das, Aysel? Mir. Du bist mein. Ich werde es deinem Vater sagen. Ich habe genommen, was mir zustand. Das muss dir nicht Leid tun, Aysel, denn ich liebe dich.«
Aysels Tränen verwandelten sich in einen Sturzbach, und Nedim hatte sie ein zweites Mal genommen. Ohne sich um Aysels Schmerzen oder das Blut auf ihrem Schenkel zu scheren. Weil sie ihm gehörte, weil sie jetzt seine Frau war.
Er war noch am selben Abend aufgebrochen. Zurück zur See. Ohne ein Wort zu irgendjemandem. Er hatte es Aysel überlassen, ihrem Vater die Schmach zu gestehen, die er ihr zugefügt hatte.
Vorgestern hatte er mit seiner Mutter telefoniert. Aus einer Telefonzelle.
»Du kommst für immer zurück?«
»Ja, für immer.«
Sie schwiegen eine lange Weile.
»Wir hatten einen harten Winter«, fuhr sie fort. »Die Bäume haben unter der Kälte gelitten.«
»Sogar unser Maulbeerbaum?«
»Nein. Aber es geht ihm wie mir – schlecht.«
»Hör auf, Mama, du wirst noch hundert.«
»Das ist es nicht, mein Sohn. Aysels Vater hat dir nicht verziehen.«
»Ich brauche sein Verzeihen nicht. Aysel gehört mir. Ich werde sie heiraten, ob er will oder nicht. Und wir werden leben, wie es uns passt.«
Pedrag hatte eine halbe Stunde auf ihn gewartet, wie er von einem spanischen Lastwagenfahrer erfuhr, als er vor J4 ankam.
»Ich nehme dich zum gleichen Preis nach Amsterdam mit«, bot der Spanier an. »Ich fahr in zwanzig Minuten ab. Wenn ich den Papierkram erledigt habe.«
»Scheiß auf Amsterdam!«
Der andere lachte. Die Sonne ging über der Stadt auf. Das Unwetter, erzählte er, war schrecklich gewesen. So etwas hatte er noch nie gesehen. Der ockerfarbene Turm von Fort Saint-Jean war in rosa Licht getaucht. Aber niemand auf dem Parkplatz achtete darauf. Die ganze Schönheit, das ganze Leben – vergeudet, dachte Nedim.
Eine Nutte stieg aus einem roten Ford Fiesta. »Stolz, Marseillerin zu sein«, konnte man auf der Heckscheibe lesen. Sie kam auf Nedim zu und schnorrte eine Kippe. Wegen des Unwetters hatte sie nicht einen Kunden gehabt. Sie bot ihm an, ihm für hundert Francs einen zu blasen. Nedim brach in Lachen aus.
»Wenn ich hundert Francs hätte, meine Süße, würde ich ein Taxi nehmen und auf mein Schiff zurückkehren.«
»Ich bring dich hin, wenn du willst.«
Sie fuhr ihn bis zum Trockendock an Tor 3A. Sie parkte neben einem Lagerhaus der Marseiller Schiffsreparaturbetriebe. »Spendierst du mir noch eine Zigarette?«
Sie sahen sich an. Sie war nicht mehr ganz jung. Dreißig. Oder fünfzig. Das Alter eines verbrauchten Lebens. Ein gezeichnetes Gesicht. Schlaffe Wangen. Fliehendes Kinn.
»Da«, sagte er und gab ihr drei Zigaretten. »Ein Teil meines Vermögens.«
»Wenn du willst, können wir eine Nummer schieben.«
Er stieg aus dem Wagen und setzte den Fuß in eine Pfütze. »Verdammte Scheiße!«
Darüber musste sie lachen. Ein Lachen, das nicht zu ihrem Gesicht passte. Ein jugendliches Lachen. Er neigte sich zu ihr. Sie schien um zehn Jahre verjüngt. Er küsste sie auf den Mund. »Danke«, sagte er.
»Ich stehe immer am J4. Komm mal vorbei.«
An Tor 3A gab es ein Riesentheater. Nedim hatte seinen Passierschein nicht mehr. Er berichtete, dass man ihm seinen Seesack geklaut hatte, sein Geld, seine Papiere, einfach alles. Der Wachmann verweigerte ihm den Zugang. Ein junger Schnösel, der kein Risiko eingehen wollte. Vorschrift. Auf den Kais wurde zu viel geklaut. Nedim konnte nicht mehr. Er hatte nur noch einen Wunsch: Schlafen. Vergessen. Diese ganze Nacht vergessen. Lallas Körper vergessen und Gabys eingefrorenes Lächeln. Pedrag und die Straße nach Istanbul vergessen. Sein Dorf und den Weg dorthin vergessen. Aysel vergessen. Aysel. Wut stieg wieder in ihm hoch. Hass.
»Die Aldebaran« ,schrie Nedim ihn an. »Die Aldebaran, verdammt! Das elende Schiff, das da unten liegt. Dreh dich doch um, verdammt! Ich geh dir schon nicht an die Gurgel!«
Der Wachmann drehte seinen Kopf zur Mole. Aber das war gar nicht nötig. Natürlich kannte er die Aldebaran.
»Siehst du sie? Da hinten? Der
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