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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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standen dort wie zum Hohn. Er drehte sich um. Gaby stand hinter ihm. Sie hielt ihm die Rechnung hin.
    »Bar oder Kreditkarte?«
     
    Celaje tierno de allá de Oriente
    Tierna violeta del mes de abril.
     
    Tausendachthundert Francs! Zwei Flaschen, tausendachthundert Francs. Er sah Gaby an.
    »Der Gin Tonic geht aufs Haus«, sagte sie.
    »So viel hab ich nicht.«
    Er war sprachlos. In seinem Kopf drehte sich alles. Er war wie betäubt. Hatte nicht mal mehr die Kraft zu überlegen, wie er hier ohne zu großen Schaden rauskommen sollte. Und Pedrag, was sollte er mit Pedrag machen?
    »Wir geben keinen Kredit.«
    »So viel hab ich nicht«, wiederholte er.
    Gaby ließ ihn nicht aus den Augen. Er geriet in Panik. Er hätte mit ihr tanzen sollen, dachte er. Sie besänftigen. Er hätte kapieren müssen, dass sie es war, die von den beiden die Entscheidungen traf. Lalla hatte versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, oder? Er wäre mit nur einer Flasche davon gekommen. Ohne Scham. Und ohne Schaden.
    »Dug! Kannst du einen Moment kommen?«
    Der Schwarze tauchte so schnell wieder auf, wie er gerade verschwunden war.
    »Ja?«
    »Dieser Dummkopf hat nicht genug.«
    »Ich habe … Vielleicht tausend Francs …«
    Nedim ließ sich auf den Stuhl fallen, zog seine Scheine hervor und begann zu zählen. Neunhundertfünfzig. Dug beugte sich über ihn, die großen Hände flach auf dem Tisch. Nedim wagte nicht hochzusehen. Halt dich zurück, sagte er sich. Spiel den Dummen, halt die Klappe. Er hörte die Mädchen hinter ihm an der Theke lachen. Lalla und Gaby. Auch der andere Gast lachte.
    »Was jetzt?«, fragte Dug.
    »Damit sind wir quitt«, wagte Nedim. »Mehr hab ich nicht.«
    »Hast du deine Papiere?«
    Nedim gab ihm seinen Pass.
    »Türke. Er ist Türke, dieser Schwachkopf«, rief er in Richtung Theke.
    »Alles Arschlöcher«, antwortete der Typ an der Theke. Und lachte sich halb tot.
    Dug steckte den Pass in seine Hemdtasche. »Du bist Seemann?«
    »Auf der Aldebaran« ,bestätigte Nedim.
    »Wann legt dein Schiff ab?«
    »Wir sind gerade angekommen.«
    »Wieso schleppst du dann den Seesack durch die Gegend?«
    Darauf wusste er keine Antwort. Er stand auf. Es war höchste Zeit zu verschwinden. Noch hatte er eine Chance, Pedrag zu erwischen. Mit ihm würde er sich schon einigen. Wenn er erst mal im Laster säße. Jetzt zählte nur noch das Verlangen, nach Hause zu kommen. Nicht nach Istanbul, nein, nach Hause. In die Berge. Auf die endlosen Straßen Anatoliens. Das Gesicht seiner Mutter drängte sich zwischen ihn und Dug. Dieses Mal gehe ich, sagte er sich, zum Grab von Papa. Das versprach er jedes Mal, aber er ging nie. Er fand nie die Zeit, dorthin zu gehen, auf die Hochebene hinter den Schluchten von Bilecik.
    Der Blick seines Vaters senkte sich auf ihn herab. Blaue Augen, wie seine eigenen. Salih, der Schmied. Meister Salih. Er kannte die fünf Säulen des Islam auswendig. Die Leute kamen, um ihn in seiner Schmiede anzuhören. Er bearbeitete das Eisen und rezitierte. Und wenn sie wieder gingen, lobte ein jeder Gott. »Maliki yevmiddin iyyake nabüdü ve iyyake nestain, ihtinassirat elmüstakim …« Diese bizarren, unverständlichen Worte, die er vergessen hatte, fielen ihm wieder ein. »Du bist es, den wir preisen, du, den wir um Hilfe bitten, führe uns auf den rechten Weg …«
    Den rechten Weg.
    Nedim schauderte. Das abschließende Amen war ihm entfallen. Man musste ein Gebet immer mit einem Amen beschließen. Sein Vater ließ ihn nicht aus den Augen. Er sah sich wieder vor ihm, als Kind. Stammelnd. Aus Angst, dass er ihn leugne, aus seiner Nachkommenschaft streiche, weil er den Wortlaut des Gebets vergessen hatte. Und ihn in die Hölle der Ungläubigen verstieß. »So muss die Hölle sein«, hatte der Schlachter Ali eines Abends gesagt und auf die Schmiede gezeigt. »Das Höllenfeuer ist nicht mit dem Feuer auf dieser niederen Welt zu vergleichen«, hatte sein Vater geantwortet. »Es brennt tausendmal mehr als unseres.«
    Tausendmal mehr. Der rechte Weg. »Bismillah irrahman irrahim …« Lobpreisung Gottes … Die Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Er musste das Grab seines Vaters besuchen.
    »Ich muss gehen«, sagte er und stand auf.
    Dug sah ihm in die Augen. Ohne erkennbare Feindseligkeit. Sein Gesicht war ausdruckslos. Als würde er nicht denken. Er schwieg.
    Nedim blickte verstohlen zur Theke. Lalla und Gaby thronten noch immer auf ihren Barhockern und schwatzten unbefangen mit Gisèle, dem Barmann und dem letzten

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