Aldebaran
große Schrotthaufen.«
»Ja.«
»Du hast davon gehört, verdammt!«
»Da ist keine Mannschaft mehr, hat man mir gesagt.«
»Klar. Sie sind alle abgehauen. Gestern Abend. Und ich … Ich wär schon weit weg, wenn ich keinen Ärger gehabt hätte. Verdammte Idiotenstadt! Ich muss zum Kapitän. Er ist noch da.«
Der Wachmann sah in seinem Register nach. »Wie ist sein Name?«
»Vom Kapitän?«
»Ja klar, nicht von seinem Hund.«
»Abdul Aziz.«
Schließlich gab der Wachmann nach. Er hatte die Schnauze voll von Nedim. Er wollte noch ein Stündchen schlafen, der faule Sack.
»Willst du mitkommen?«, fragte Nedim.
»Schon gut.« Er notierte Nedims Namen in seinem Register.
»Du musst mit dem Kapitän zurückkommen. Und wenn du an Bord bleibst, kriegst du einen neuen Schein. Ohne Passierschein kommst du nicht noch mal durch. Keine Chance.«
»Verpiss dich!«
Nedim marschierte mit großen Schritten auf dem Kai und zwischen den Hafenbecken hindurch, um zum Digue du Large zu gelangen. Er lief jetzt im Leerlauf. Das Karussell in seinem Kopf stand still. Er hatte keinen einzigen Blick für das Meer vor ihm. Himmelblau. Ein klarer Himmel. Makellos. Strahlend. Vom Unwetter rein gewaschen. Ein herrlicher Tag kündigte sich an. Der erste Sommertag.
Bevor er einschlief, dachte er an die Nutte, die er getroffen hatte. Da bot man ihm den Beischlaf einmal gratis an, und er musste ablehnen. Er war wirklich zu dämlich.
Ihr Gesicht verfolgte ihn im Schlaf. Ekel und Begierde durcheinander. Ihm war warm. Zu warm. Das Mädchen erstickte ihn. Er wollte nicht, dass sie sein Glied in den Mund nahm. Er wehrte sich. Die Sonne durchflutete seine Kabine.
Er schrak aus dem Schlaf hoch, schweißgebadet. Und er hatte einen Steifen. Das Erste, was ihm in den Sinn kam, bevor er auch nur auf die Uhr sah, war ein Gedicht, das sein Vater gern aufgesagt hatte. Mit seiner weichen und eindringlichen Stimme.
Die Straße des Exils hat uns neu zusammengeführt.
Wer kann schon sagen, wo der Tod uns finden wird.
Seine Uhr zeigte fünf Uhr. Fünf Uhr? Das Glas war zerbrochen. Mist, sie musste kaputt gegangen sein. Er steckte sich eine Zigarette an, die vorletzte, hustete. Wie spät mochte es wohl sein? Noch Morgen? Schon Nachmittag? Auf der Aldebaran war es totenstill. Wo mochte Abdul Aziz sein? Wie würde er reagieren, wenn er ihn hier vorfand? Was sollte er ihm sagen?
»Du kannst mich mal«, murmelte er.
Erschöpft ließ er sich in die Koje zurücksinken und dachte an Aysel. »Elhamdüllillah rabbilalemin irrahman irrahim, maliki yevmiddin …« Sein Schwanz begann sich aufzurichten.
»Amen«, sagte er.
Und während er einschlief, spürte er, wie ihm die Tränen die Wangen hinunterrannen.
8 Einige nicht wieder gutzumachende Fehler
Was war los mit Céphée? Abdul Aziz bemühte sich, es zu verstehen, aber es wollte ihm nicht gelingen. »Sie hat den Verstand verloren« – das war die einzige Antwort, die er fand. Nicht ohne sich einzugestehen, dass sie als Erklärung ein wenig dürftig war. Genau genommen erklärte sie überhaupt nichts.
Es war der zweite Tag nach seiner Rückkehr aus Adelaide in Australien. Céphée hatte gerade die Kinder ins Bett gebracht. Sie hatten es sich auf der Terrasse gemütlich gemacht, um ein oder zwei Margaritas zu trinken. Céphée kannte das Geheimnis der Zubereitung mit genau der richtigen Menge Salz am Glasrand. Den Blick über den Dächern von Dakar verloren, begann er, von seiner Reise zu erzählen. Er brauchte das immer wieder. Die Welt vor ihr auszubreiten.
Die Kananga war den Golf von Saint-Vincent hinaufgefahren, um schließlich im Schutz des äußeren Hafenbeckens von North Haven festzumachen. »Dort, wo niemand freiwillig hinging oder -kam«, wie man unter Seeleuten sagte.
Port-Adelaide befand sich hinter einem flachen, vor Hitze glühenden Streifen Erde aus trockenem Gestrüpp, auf dem ein paar Wellblechhütten verstreut lagen. Adelaide lag noch weiter dahinter. Ein Tempel, eine Kirche, drei Bars, ein Hotel, ein Bordell, das Rathaus, eine Poststelle und etwa hundert Häuser drum herum. Eine Stadt für Seeleute. Noch weiter lag Beach Taperoo, wo, so behauptete ihr schwedischer Funker Reidar, »in der Abgeschiedenheit junge Mädchen aus guten Familien lebten, die man umsonst ficken konnte, wenn man es geschickt anstellte«.
»Mädchen aus guter Familie sind der Traum aller Seeleute. Jeder kann seine Geschichte über ein Mädchen aus guter Familie in dem einen oder anderen Winkel der Erde
Weitere Kostenlose Bücher