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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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geben sich nur so preis. Kairo, Buenos Aires und Schanghai gehörten dazu. Neapel und Algier natürlich auch. Vielleicht Sankt-Petersburg und Prag. Und Rom, aber aus anderen Gründen. Dort fühlte man sich eher von innen inspiriert, als dass die Stadt inspirierte.
    Marseille, fast ebenso alt wie Rom, war Diamantis am liebsten. Vielleicht, weil es mehr als alle anderen Städte zugleich einfach, verwirrend und unstimmig war und dabei von einem Ästhetizismus geprägt war, der manchen Architekten oder Stadtplanern vor Heulen oder Lachen die Tränen in die Augen trieb. Für Diamantis blieb sie die geheimnisvollste Stadt der Welt.
    Das zweistöckige Haus an der Traverse Fouque war seit seiner Errichtung offenbar nie verändert worden. An der Haustür befand sich keine Klingel, und die Tür selbst war nicht verschlossen. Aminas Vater wohnte im zweiten Stock links. So stand es auf dem Briefkasten.
    »Ich will ihre Adresse«, forderte Diamantis.
    Masetto überkam die Angst. Er war allein in der Wohnung und hatte begriffen, dass er seinen Besucher nicht so einfach abweisen konnte. Er gehörte zu jenen Leuten, die nur in der Gruppe oder bewaffnet und mit mehreren Bieren im Bauch Mut zeigten. Als kleiner Beamter in der französischen Verwaltung in Marokko hatte er Aminas Mutter eher gekauft als geheiratet. Wegen ihrer Schönheit und als Bettgenossin. Das war billiger, als jeden Abend die Nutten aufzusuchen.
    Als er nach Frankreich zurückbeordert wurde, schämte er sich, mit einer Araberin am Arm herumzuziehen. Seine Nachbarn und die Händler im Viertel würden ihn auch für einen Araber halten. Was in den Sechzigerjahren noch keine Beleidigung war. Er begann seine Frau jeden Abend zu schlagen, wenn er von der Arbeit kam.
    »Vielleicht hat er sie wirklich geliebt«, hatte Diamantis Amina damals geantwortet, als sie ihm das alles erzählt hatte.
    »Aber klar«, hatte sie eingewandt. »Sicher … Und mich, glaubst du, mich hat er auch geliebt, wenn er mir mit seinen widerlichen Pranken den Hintern getätschelt hat? Für den Kerl sind alle Frauen Nutten. Er denkt nicht weiter, als sein Schwanz reicht. Mit genug Geld hätte er mehrere Frauen gekauft, wenn du es genau wissen willst! Ich hab gehört, wie er das eines Abends zu Bekannten gesagt hat, die er zum Couscous eingeladen hatte. ›Je mehr Frauen du im Haus hast, desto stärker bist du als Mann.‹ Ja, das hat mein Vater gesagt.«
    »Ein echter Fundamentalist!«, hatte Diamantis gescherzt.
    »Du hast gut reden! An dem Abend war er sogar bereit, mich an einen seiner Kumpel zu verkaufen. Für eine Nacht, meine ich. Der Typ, ein zum Bootsverkäufer umgesattelter verdammter Fallschirmspringer, hatte fünfhundert Francs auf den Tisch gelegt. Es ist nichts daraus geworden, weil meine Mutter damit gedroht hat, aus dem Fenster zu springen. Sie schrie, und sie hatten Angst, die Nachbarn würden die Flics rufen.«
    Je länger Diamantis den Kerl ansah, desto größer wurde seine Lust, ihm eins in die Fresse zu schlagen. Aber das hatte er keineswegs vor. Jahre waren vergangen, und er hatte kein Recht, Aminas Vater zu verurteilen. Hatte er nicht selber wie ein Schweinehund gehandelt, als er sich damals so aus der Affäre gezogen hatte?
    »Ich weiß nicht, wo sie wohnt.«
    »Sie wissen es nicht!«
    »Ich schwörs Ihnen.«
    Masetto schien die Wahrheit zu sagen.
    »Ist sie verheiratet? Hat sie Arbeit?«
    Ein verächtliches Lächeln huschte über sein Gesicht. Er zuckte die Schultern.
    »Haben Sie sie vielleicht an Ihren Kumpel, den ehemaligen Fallschirmspringer, verkauft?«
    Vor Überraschung ließ Masetto die Tür los. Diamantis nutzte die Gelegenheit. Er stieß ihn ins Innere der Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Masetto sah sich um, auf der Suche nach einem Fluchtweg.
    »Wer sind Sie?«
    Die Wohnung war nicht sehr groß, bäuerlich eingerichtet. Es roch muffig, nach schmutziger Wäsche. Dabei stand das Fenster offen.
    »Das habe ich bereits gesagt«, antwortete Diamantis, »ein Freund.«
    »Ich kenne Sie aber nicht«, sagte er weinerlich. »Sie dringen hier ein, Sie beleidigen mich, Sie schubsen mich …«
    »Schnauze, Masetto!« Er machte einen Schritt auf ihn zu. »Sie sagen mir, wo ich sie finden kann, und ich lasse Sie in Ruhe. Klar? Ich hab nämlich keine Lust, die Wahrheit aus Ihnen rauszuprügeln.«
    Masetto zuckte die Schultern. »Ich hab keine Ahnung, wirklich nicht. Bekannte haben mir gesagt, dass sie sie manchmal im Mas gesehen haben.«
    »Im Mas? Was ist das?«
    »Ein

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