Aldebaran
Restaurant. Rue Lulli. Hinter der Oper. Es hat spät geöffnet. Sie sind nicht von hier?«
»Und was noch?«
»Sie ist eine Nutte, oder etwas in der Art. Irgendwas Unanständiges, deshalb will ich sie nicht mehr sehen. Sie ist nicht mehr meine Tochter.«
Diamantis packte Masetto am Hemdkragen.
»Was? Du Schweinehund!«
Aber er ließ Masetto los. Er schämte sich. Für Amina und sich selbst. Masetto begriff, dass Diamantis schlapp machte und nichts mehr riskieren würde. So sind Schakale, nicht mutig, aber gehässig.
»Ja, das ändert nichts daran, dass sie von allein auf die Straße gegangen ist. Der Schweinehund bin nicht ich. Das ist der, der sie zum ersten Mal verführt hat, ihr das Blaue vom Himmel versprochen und dann, einmal befriedigt, in Windeseile die Koffer gepackt hat.«
Er sah Diamantis an, ziemlich stolz auf seinen Vortrag. »Vielleicht sind Sie das ja gewesen?«
Diamantis verpasste ihm eine kräftige Ohrfeige. Masetto verlor das Gleichgewicht. Im Sturz stieß seine Nase gegen den Tisch. Blut begann in Strömen zu fließen. »Scheiße«, fluchte er.
Draußen schloss Diamantis vor der blendenden Sonne die Augen. Er strauchelte sogar unter dem brutalen Licht. Ratlos blieb er ein paar Minuten vor Masettos Haus stehen.
Am nächsten Tag war er um die gleiche Zeit wieder ins Cintra gegangen. Amina war dort mit denselben Leuten. Neben ihnen war ein Tisch frei. Dort schlängelte er sich hin. Er begann eine möglichst einfache Unterhaltung, wie es auf der ganzen Welt üblich war. Er bat um Salz und Pfeffer. Man erkundigte sich nach seinem Akzent. Was er danach erzählt hatte, wusste er nicht mehr. Er erinnerte sich, dass Amina ihren aufbrechenden Freunden »Ich komm gleich« zugerufen hatte, während er einen zweiten Kaffee bestellte.
Plötzlich saßen sie sich gegenüber. Sie hatten kein Wort mehr herausbekommen. Wie festgenagelt sahen sie sich an. Schließlich war Amina aufgestanden und hatte gesagt: »Treffen wir uns hier wieder, um halb acht?«
»Um halb acht«, hatte er wiederholt.
Als sie wiedergekommen war, hatte sie ihn vorgefunden, als hätte er sich nicht von der Stelle gerührt. »Hast du dich nicht vom Fleck bewegt?«
»Doch«, hatte er lachend gesagt. »Ich war im Kino.«
»Was hast du gesehen?«
»Stromboli. Einen alten italienischen Film.«
Er hatte ein bisschen über den Film von Rossellini erzählt, den schönsten Film über den Zynismus. »Gegen den Zynismus ist keiner gefeit«, hatte er ihr ein wenig hochtrabend anvertraut.
Amina hatte gelächelt.
»Wie wärs, wenn wir woandershin gingen?«, hatte sie gefragt.
Sie trafen sich jeden Abend. Amina war seit sechs Monaten Verkäuferin im Dames de France, einem großen Geschäft in der Rue Saint-Ferréol. Sie war von zu Hause abgehauen, weil es dort, wie sie ihm am ersten Abend erzählt hatte, nicht mehr auszuhalten war. Mehr hatte sie nicht gesagt, und Diamantis hatte nicht nachgehakt. Durch diesen Job konnte sie leben und die Miete zahlen, ohne jemandem etwas schuldig zu sein. Sie hatte sich Besseres erträumt, aber sie klagte nicht. Die ganze Zukunft lag noch vor ihr.
Abends schlenderten sie von Bar zu Bar, allein oder mit Bekannten von Amina, dann begleitete er sie nach Hause. Rue Barbaroux, oberhalb der Canebière. Ihre Lippen berührten sich kaum, wenn sie sich trennten. Ihr Begehren war so groß, dass es ihnen Angst machte. Sie lächelten sich an, liebkosten sich mit Blicken, streiften sich flüchtig.
»Ich fahre morgen Abend«, sagte er.
Sechs Tage war er jetzt dort. Die Stainless Glory setzte ihren Weg fort.
Er spürte, wie sie erschauerte.
»Und … Wirst du wiederkommen?«
»In vierzehn Tagen«, antwortete er glücklich.
Sie musterte ihn aus merkwürdigen Augen. So intensiv, dass er nicht mehr wusste, was er sagen sollte.
»Was?«, stammelte er.
»Kommst du mit hoch?«, fragte sie nur. Sie nahm ihn bei der Hand.
»Komm.«
Diamantis hatte keinerlei Erinnerungen an die Nacht. An den Morgen erinnerte er sich. An den Sonnenstrahl, der ins Schlafzimmer schien. Aminas braune Haut glänzte. Sie war schön wie eine verführerische Wogenlandschaft über einer Untiefe. Er hatte sie im Schlaf beobachtet und sich gesagt, dass er diesen Körper niemals vergessen könnte, der dort nackt neben ihm ausgestreckt lag. Ein seltsames Gefühl von Einsamkeit hatte ihn überkommen. Aminas Abwesenheit war ihm jetzt schon unerträglich. Dann hatte sie »Guten Morgen« gesagt, und sie hatten sich wieder ihrem Liebesspiel
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