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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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fragte sich, ob der Typ, der ihn vor zwanzig Jahren zusammengeschlagen hatte, derselbe war, mit dem Giovanni gesprochen hatte. Nur aus Neugier. Mit der Überwindung der Angst und Erniedrigung, die Teil seiner selbst gewesen waren, hatte er jedes Rachegefühl erstickt. Es war ein anderes Leben. Er war ein anderer Mann. Jetzt sah er wieder ihr ganzes Gesicht, ihr Lächeln, ihren Körper. Eine Erinnerung ohne Begehren. Einfach schön, mehr nicht.
    Während er seinen Halben an der Theke des Samaritaine austrank, beschloss er, nicht zu Mariette zu gehen. Etwas hielt ihn davon ab. Vielleicht war er noch nicht so weit, mit einer richtigen Frau zu schlafen. Einer Frau, die etwas von einem Mann erwartete, von ihm. Mehr als eine Partie mit gespreizten Beinen. Mariette lief über vor Liebe. Er konnte nicht nehmen, ohne zu geben. Das hieß lieben. Ein Austausch zwischen zwei Menschen.
    Er konnte ihr noch nichts bieten. Ihr oder anderen. Er wurde ganz von seinen Verletzungen und Erinnerungen, seiner Einsamkeit und dem Meer in Anspruch genommen. Mariette verdiente einen Besseren. Sie würde jemanden finden.
    An der Kreuzung Boulevard des Dames blieb er stehen, um einen metallic-blauen Safrane vorbeizulassen. Ihm fiel nicht auf, dass dieser Wagen ihn an der vorigen Ecke schon einmal überholt hatte. An der Rue de la République bog der Safrane Richtung La Joliette ab. Wenige Meter weiter hielt er mit blinkenden Warnlichtern.
    Als Diamantis auf seiner Höhe anlangte, stiegen zwei Männer aus und kamen auf ihn zu. Diamantis schaltete zu spät. Aber als er den ersten Hieb mit dem Knüppel abkriegte, begriff er, dass es von vorn losging. Wie vor zwanzig Jahren. Wegen Amina, daran bestand kein Zweifel.
    Der erste Schlag gegen die Schläfe schickte ihn zu Boden. Diamantis rollte sich augenblicklich zusammen, um Kopf und Bauch zu schützen. Sie schlugen hart zu. Die Knüppelhiebe prasselten wahllos auf Arme, Rücken, Beine nieder. Er atmete so flach wie möglich, um weder seine Nerven noch das Bewusstsein zu verlieren. Wenn sie dich umbringen wollten, schoss es ihm durch den Kopf, hätten sie es schon getan. Halt durch.
    Er hielt durch bis zu dem Fußtritt ins Gesicht. Vor Schmerz musste er seine Abwehrhaltung aufgeben. Ein weiterer Fußtritt traf ihn auf den Mund. Er hatte kaum Zeit, das Blut auf den Lippen zu schmecken. Ein neuer Fußtritt erwischte ihn im Bauch, dann noch einer. Atme, redete er sich zu, atme. Die Knüppelhiebe hagelten erneut auf seinen Körper nieder. Er holte tief Luft und wälzte sich auf die Seite. Dann rollte er sich wieder zusammen. Die Schläge hörten auf. Er rührte sich nicht. Er wartete.
    »Das ist nur eine Warnung, Diamantis. Lauf Amina nicht mehr hinterher. Okay? Lass sie in Ruhe.«
    Er entspannte sich, es war vorbei.
    »Komm, wir gehen«, sagte einer der Männer.
    Ja, es war vorbei.
    Außer dass der Absatz eines Mannes seine Nase traf, ehe er sichs versah. Blut begann in Strömen zu fließen. Gebrochen, dachte er. Aber er rührte sich nicht.

15 Auf der Aldebaran wird auch Domino gespielt
    Mariettes Lächeln erstarb bei Diamantis’ Anblick. Er sah nicht ganz wie Quasimodo aus, aber viel fehlte nicht. Die Oberlippe war geplatzt und geschwollen. Das linke Auge war halb zugequollen und der Wangenknochen darunter blau angelaufen. Unter der Nase klebte geronnenes Blut. Auch das Hemd war voller Blut.
    »Mein Gott!«
    Er lächelte. Er versuchte es jedenfalls. »Hoffentlich ist es noch nicht Mitternacht.«
    Darüber konnte sie nicht lachen. »Was ist passiert?«
    »Später … Ich brauch was zu trinken …« Er ließ sich in einen Rattansessel fallen. Sonst wäre er umgekippt.
    »Whisky?«, schlug sie vor.
    Er nickte.
    Diamantis hatte all seine Kräfte zusammengenommen und sich aufgerappelt, kaum dass der Safrane davongefahren war. Mariette wohnte in der Altstadt. Place des Moulins, auf der Anhöhe. Er schleppte sich durch die schmalen, verlassenen Gassen. Heiße Luft füllte seine Lungen. Er blieb mehrmals an einer Mauerecke stehen, um neue Kraft zu schöpfen. In der Rue Vieille-Tour ging er links. Auf der Place Lorette verlor er die Orientierung. An eine Bank gelehnt holte er Atem. Ein strenger Geruch lag in der Luft. Eine Katze lief über den Bürgersteig. Er zitterte.
    Ein Mofa kam die Straße heruntergeholpert. Es bremste auf seiner Höhe. Diamantis drehte sich um. Ein junger Schwarzer. Rasta von Kopf bis Fuß.
    »He, Mann, alles klar?« Er stieg von seinem Mofa und ging auf Diamantis zu.
    »Verflucht, die

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