Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
Gesicht zu lachen, schlimmer als ein Italiener.
    »Diamantis«, sagte Nedim. »Stellen Sie sich vor, wie die gucken, bei mir, wenn ich erzähl, dass mein bester Freund Grieche ist.«
    »Er ist dein bester Freund?«, hakte Abdul mit einem Anflug von Eifersucht nach.
    »Nein, nein … das hab ich nur so gesagt. Für uns sind die Griechen alle Hurensöhne. Mir ist das egal … Türken, Griechen. Wir futtern alle gefüllte Weinblätter …«
    »Was ist, spielst du?«
    Ohne nachzudenken, spielte Nedim die Drei-Zwei, dann ließ er Abdul freie Hand. Der legte die doppelte Zwei. Nedim war definitiv eingemauert.
    »Ah, Scheiße, ich geb auf.«
    »Du bist ne Niete bei dem Spiel, das hab ich dir gleich gesagt.«
    »Ja, ja … Mit einem kleinen Schluck würde es besser gehen. Wissen Sie nicht, wo er seine Flasche versteckt hat?«
    »In seiner Kabine zweifellos.«
    Nedim sah ihn an. »Sie als Kapitän können vielleicht in seine Kabine? Sie erklären es ihm dann schon.«
    Abdul war noch nicht müde und hatte selbst nichts gegen ein Glas einzuwenden. Nedims Gesellschaft war nicht unangenehm, auch wenn die Gespräche mit ihm sich oft auf die einfachsten Dinge beschränkten. Heute Abend kam sie ihm jedenfalls gerade recht.
    Den ganzen Tag hatte er sich rumgeärgert wie ein getretener Köter. Er war nicht einmal dazu gekommen, zehn Seiten in seinem Buch Der Libanon nach dem Krieg zu lesen, einem Geschenk von Walid. »Es geht darum herauszufinden, ob dieses Land mit den Dämonen der ethnischen Säuberung abgeschlossen hat, nicht mehr und nicht weniger«, betonte der Soziologe Ahmad Beydoun, »und ob der Frieden, der hier nicht vom Gleichgewicht der unterschiedlichen Gemeinschaften zu trennen ist, auf Dauer eine Chance hat.« In seinem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Céphée, der Libanon, Constantin Takis, die Aldebaran, die Frauen, die er geliebt hatte, die Häfen, die er angelaufen hatte, Diamantis, das Alter, sein Bruder und seine Investitionspläne, die Kinder, die ohne ihn aufwuchsen, das Geld, das er bräuchte, um sich im Libanon niederzulassen, die Ruinen von Byblos, wieder Céphée, immer wieder Céphée. Er hatte das Buch zugeklappt. Er war auf eine schiefe Ebene geraten.
    In Wirklichkeit hatte er begonnen, der Zukunft ins Auge zu sehen. Das war sein eigentliches Problem. Céphée hatte ihn in diese Falle gelockt. Die Zukunft. An die bevorstehenden Tage denken. Ihnen einen Sinn geben. Sie organisieren. Céphée war in seinem Leben nur eine Zeitbombe gewesen. Sie war explodiert, und jetzt zerbrach seine Existenz in tausend Stücke. Er war dabei, die Scherben aufzusammeln, die um ihn herum verstreut lagen.
    Die Linie des Horizonts erregte ihn nicht mehr so wie früher, hatte er heute Nachmittag auf dem Deck festgestellt. Dahinter waren keine Träume mehr, keine Geschichten, die gelebt werden wollten. Man kommt immer von der anderen Seite des Horizonts zurück. Wie man immer aus seinen Träumen wiederkehrt. Eines Morgens findet man sich unter einem Dach mit Frau und Kindern wieder, in einem hübschen Haus, mit klaren Regeln, festen Gewohnheiten, sich wiederholenden Gesten, gekünsteltem Lächeln, flüchtigen Küssen in der Frühe, den Sorgen mit den Kindern, den Problemen am Monatsende … Der Gedanke machte ihn missmutig, aber er konnte nichts dagegen tun.
    Als sie ihn zu einer Entscheidung drängte, hatte Céphée ihn in diese Realität zurückgeholt. Und er stellte fest, dass ihm plötzlich die Leidenschaft abhanden gekommen war. Heute war er nicht mehr als ein Angestellter. Das Meer sicherte ihm nur noch die Existenz. Er konnte ebenso gut Händler sein, wie sein Bruder Walid. Oder Hotelier oder Gastwirt.
    Er stellte sich in der Rolle von Pepe Abed vor, dem Besitzer des Fishing Club in Byblos. Silbrige Haare unter einer Kapitänsmütze, in einen blauen Blazer und weiße Hosen gezwängt. Mit fünfundsechzig hatte er sein Glück im leichtlebigen Vorkriegslibanon gemacht. Er hatte die schwarzen Jahre unbekümmert überstanden und war heute in Byblos das, was Eddie Barclay in Saint-Tropez darstellte.
    Sein Club war zu einer Art Museum für Marineantiquitäten geworden, wo man sich drängte, seinen Geschichten zu lauschen. Ava Gardner war dort gewesen. Raquel Welch, Anita Ekberg. Auch Marlon Brando. Abed ist mal Pepe der Pirat, mal Pepe der Caballero. Und niemand scherte sich darum, ob seine Geschichten wahr waren. Abdul hatte Céphée dorthin geführt, weil seine Küche – mezze oder gegrillter Fisch – hervorragend war.

Weitere Kostenlose Bücher