Aldebaran
»Hoffentlich wirst du am Ende nicht wie er«, hatte Céphée gescherzt, als sie in ihrem Zimmer waren. Sie hatten gelacht. Das war so lange her. Fünfzehn Jahre. Vielleicht sah sie ihn jetzt so. Wie er von seinen Abenteuern berichtet, ein Glas Margarita in der Hand, mit derselben Überzeugung wie an jenem Abend auf der Terrasse in Dakar.
Er verzog das Gesicht. Tief in seinem Magen bildete sich ein Kloß. Céphée ließ ihn im Stich, er sie aber auch. Sie war nicht mehr sein guter Stern, der ihm Glück brachte.
Am Nachmittag hatte er seine Hängematte unter dem Druck der Hitze im Schatten auf dem Hauptdeck aufgehängt. Mit geschlossenen Augen ausgestreckt, hatte er versucht, die erregenden Bilder von Céphée heraufzubeschwören. Der Drang nach Befriedigung. Sich in Zuckungen ergehen. Die Augen geschlossen. Feuchte Luft dringt ins Haus. Das drohende Gewitter. Céphée steht unter der Dusche, und er schaut zu, wie das Wasser über ihren sepiabraunen Körper läuft. Sie liebt es, wenn er sie ansieht. Sie lässt sich Zeit.
Ohne sich abzutrocknen, kommt sie zu ihm ins Schlafzimmer, legt ihm ihre feuchten Hände auf die Schultern und stößt ihn rückwärts aufs Bett. Ihre Brüste sind glatt, noch leicht feucht, kühl. Sie hängt sich an ihn wie ein Saugnapf. Ihr Geschlecht … Er hatte seinen schlaffen Schwanz losgelassen. Die Lust war weg. Seine Lust auf Céphée.
Das ist es, dachte er. Plötzlich war ihm klar, warum er ihr nicht mehr schreiben konnte. Ihre Geschichte ging zu Ende. Nicht einmal das Begehren vereinte sie noch. Er war über dem Gedanken eingeschlafen, dass er sich morgen eine Hure suchen würde, um wieder an sein eigentliches Leben anzuknüpfen.
Abdul nahm einen kräftigen Schluck Whisky, direkt aus der Flasche.
»Zum Teufel! Sie trinken heimlich!«, rief Nedim aus.
Er hatte ihn nicht kommen hören.
»Ich hab mir Sorgen gemacht.«
Abdul stand mitten in Diamantis’ Kabine. Er hatte mechanisch nach der Whiskyflasche gegriffen und war so stehen geblieben. Der Alkohol brannte ihm im Magen, dort, wo der Kloß saß. Er begann zu schwitzen.
»Gehts Ihnen nicht gut? Sie sind ja ganz blass.«
Sein Blick ging in die Ferne. Aufs Meer hinaus. »Dort, wo wir nachts von aller Welt verlassen sind«, wie er Céphée neulich erst geschrieben hatte. In seinem letzten Brief. Er erinnerte sich an dieses Gefühl mitten auf dem Ozean. Der Pazifik geht in einer stern- und mondlosen Nacht in den Himmel über. Nichts kann man um sich herum erkennen, nicht einmal die Myriaden von Wellen, die sich am Schiffsrumpf brechen. Unser Gesichtsfeld verengt sich und konzentriert sich auf das, was die Welt ausmacht: auf uns selbst.
»He! Alles klar?« Nedim berührte ihn leicht an der Schulter. Aus Angst, dass er umfallen könnte. Das würde gerade noch fehlen, dachte er.
Abdul sah Nedim an. Er kam wieder zu sich, in die Wirklichkeit. »Wenn wir in der Zukunft nicht finden, was wir uns wünschen«, hatte der Hellseher Diouf gesagt, »dann, weil wir nicht zu suchen verstehen.«
»Ich glaube nicht an Magie«, hatte er geantwortet.
Diouf hatte ihn traurig angelächelt. »Woran glauben Sie dann?«
»An gar nichts.«
»Sie tun mir Leid.«
»Ich bin nicht zu bemitleiden.«
»Eines Tages werden Sie verstehen.«
»Möglich.«
Abdul Aziz hatte dem alten Mann zehn Dollar hingeblättert. Wütend auf sich selbst, weil er Céphée zu Gefallen eingewilligt hatte, den Wahrsager aufzusuchen. Zu Anfang war es nur ein Spiel. Was denken Sie von mir? Werde ich mich guter Gesundheit erfreuen? Werde ich glücklich sein? Werde ich mehr Geld verdienen? Céphée hatte ihn zuerst zurate gezogen. Sie hatte ihm nie verraten, was Diouf ihr geweissagt hatte.
Der Wahrsager hatte ihn zurückbegleitet. »Denken Sie immer daran, so stark ein Mann auch sein mag, er ist es nicht unter allen Umständen.«
Abdul drehte sich zu Nedim, der unruhig dastand und nicht wusste, was er tun sollte. »Weißt du was, Nedim, morgen bringst du mir mit Diamantis das Hauptdeck in Ordnung. Das ist ja der reinste Sauverhau.«
Nedim sah ihn verblüfft an. »Es ist nur … Ich muss morgen einen Fahrer finden.«
»Morgen hast du Wache. Punkt. Du teilst dir deine Zeit mit Diamantis ein. Ich habe jede Menge in der Stadt zu erledigen.«
»Sagen Sie«, stieß er aus, von Abduls Worten wie vor den Kopf geschlagen, »kann ich die Flasche auch mal haben. Ein kleiner Schluck kann nicht schaden.«
Abdul reichte ihm die Flasche. »Was ist, willst du Revanche?«
»Nun …
Weitere Kostenlose Bücher