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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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genau, wusste er nicht mehr, und geröstete Erdnüsse dazu geknabbert. Jetzt hatte er Hunger.
    Er zweifelte nicht, dass er Amina auch nach all der Zeit wieder erkennen würde. Das glaubte er wenigstens. Sie musste jetzt neununddreißig oder vierzig Jahre alt sein. Vielleicht einundvierzig. Er war sich plötzlich nicht mehr sicher. Aber spielte das noch eine Rolle? Man sollte wohl in der Lage sein, eine Frau wieder zu erkennen, die man wahrhaftig geliebt hatte, egal, wo sie sich befand, und auch noch nach zwanzig Jahren. Aminas Schönheit, davon war er überzeugt, war zeitlos.
    Gesichter schauten zu ihm auf, als er vorüberging, und neigten sich wieder über ihre Teller. Niemand kannte ihn, und er kannte niemanden. Interessante Kundschaft, stellte er fest. Sie roch nach Geld. Geschäftsleute, Rechtsanwälte, Ärzte. Vielleicht auch Journalisten. Die Frauen in ihrer Begleitung kleideten sich nicht von der Stange aus den großen Kaufhäusern. Dennoch wirkten sie maskenhaft. Wie aus dem Schaufenster und zu stark geschminkt. Aber den Männern schienen sie so zu gefallen. Er stellte sich vor, dass sie rote Spitzenunterwäsche trugen, und darüber musste er schmunzeln.
    »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte ihn der Mann hinter der Kasse. Ein rüstiger Sechziger, schwarze Hose, weißes Seidenhemd, weit offen über einer dicken Goldkette. Am rechten Handgelenk ein dicker Ring mit seinem Vornamen: Giovanni. Zweifellos der Wirt, oder der Geschäftsführer.
    »Ich suche eine Freundin, die … Die ich seit einiger Zeit nicht gesehen habe. Man hat mir gesagt, dass sie bei Ihnen verkehrt. Amina. Amina Masetto. Das heißt, Masetto war ihr Mädchenname.«
    Der Mann fixierte ihn aufmerksam, dann blickte er über ihn hinweg in die Ferne. Diamantis drehte sich um in der Hoffnung, Amina zu entdecken. Amina, die er nicht wiedererkannt hatte. Aber nein.
    »Einen Moment«, sagte Giovanni. Er ging auf einen Tisch zu, an dem drei Leute speisten. Ein Paar und ein einzelner Mann. Der Platz neben ihm war frei, aber man hatte das Gedeck liegen lassen. Der Mann saß mit dem Rücken zu Diamantis. Trotz der Hitze trug er ein leichtes, marineblaues Jackett aus Baumwolle oder Leinen. Seine gut geschnittenen Haare waren an den Schläfen und im Nacken ergraut. Er war zwar nicht groß, wirkte aber stämmig. Diamantis konnte sein Alter nicht genau einschätzen.
    »Vorsicht«, warnte eine Kellnerin Diamantis. Sie balancierte drei Teller mit gegrillten Figatelli in der rechten Hand und auf dem linken Unterarm.
    Giovanni flüsterte dem Mann im Jackett etwas ins Ohr. Das Paar sah zu Diamantis hinüber, aber der Mann drehte sich nicht zu ihm um.
    Giovanni kehrte zu Diamantis zurück.
    »Wer ist der Herr?«
    »Mit Sicherheit keiner von Ihren Freunden«, antwortete Giovanni kühl. »Wir wissen nicht, ob Amina heute Abend vorbeikommen wird. Aber sie können eine Nachricht hinterlassen, ich werde sie ihr übergeben, sobald ich sie sehe.«
    Giovanni erklärte ihm das ohne eine Spur von Freundlichkeit.
    Diamantis erinnerte sich an Masettos Worte. Amina war eine Nutte oder etwas in der Richtung. Der Typ war vielleicht ihr Zuhälter. Oder ihr Mann. Oder beides, warum nicht? Aber vielleicht hatte Masetto ihm Mist erzählt, aus purer Bosheit. Wie überall am Mittelmeer hatte man auch hier wenig Achtung vor jungen Frauen, die »alte Knacker« mit einem Batzen Geld heirateten. Es war klar, dass sie sich, kaum verheiratet, dem erstbesten Handelsvertreter an den Hals werfen würden. Geld erregt, aber es befriedigt nicht.
    Diamantis konnte sich nicht an die Vorstellung von Amina als Nutte gewöhnen. Nicht einmal als Edelhure. Oder nur als ausgehaltene Frau. Der Kerl musste ihr Mann sein. Daran klammerte er sich. Das war es, was er glauben wollte. Es tat weniger weh als Amina, die einem alten Widerling für Geld einen bläst, zum Beispiel. Ihm wurde schlecht. Diese Bilder, die sich plötzlich in seinem Kopf mit den Küchengerüchen vermischten, ekelten ihn an. Er schüttelte den Kopf, um dies alles zu vertreiben.
    Giovanni reichte ihm einen Notizblock und einen Kuli. Er kritzelte ein paar Worte. »Ich bin in Marseille. Ich würde dich gern Wiedersehen. Dich um Verzeihung bitten. Bin …« Er zögerte und schrieb dann weiter: »… übermorgen ca. 17 Uhr in der Bar Henri, Rue Saint-Saëns. Diamantis.« Er fügte hinzu: »Mein Schiff ist die Aldebaran. Falls du nicht kommen kannst. Du kannst am Kontrollposten von Tor 3A nach mir fragen.«
    Er faltete die Nachricht, schrieb

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