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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Aufenthalts im Hafen. So lautete die Vorschrift.
    Am nächsten Abend war sie in der Bamboo Bar. Sie hatte einen Seidenshort über ihren Badeanzug gezogen, fluoreszierend orange. So ging sie von Hand zu Hand, von Glas zu Glas. Kassierte zehn Dollar hier, zehn Dollar da für eine Hand auf ihrem Hintern, ihrer Brust, einen flüchtigen Kuss. Aalglatt. Er fragte sich, wer die meisten Dollar aufbringen würde, um mit ihr abzuziehen.
    Plötzlich tauchte sie aus einer Rauchwolke auf. Sie stand vor ihm, ein Glas in der Hand. Die Musik war ohrenbetäubend. Sie posierte eine Hand auf der Hüfte, warf sich in die Brust, prostete ihm zu und trank.
    »Schade«, sagte sie und kehrte ihm den Rücken.
    Er hielt sie am Handgelenk zurück. »Was ist schade?«
    Sie sah ihm tief in die Augen, wie gestern auf dem Schiff. Er ließ ihr Handgelenk nicht los. Hielt ihrem Blick stand.
    »Hundert Dollar«, schlug er vor.
    Immer noch am Handgelenk zog er sie aus der Bar, ohne sich um die Blicke und Kommentare seiner Mannschaft zu kümmern.
    Hundert Dollar. Für hundert Dollar hatte er mit einem steifen, kalten Körper geschlafen. Sie hatte nicht einmal Lust vorgetäuscht wie jede andere Nutte, nicht eine zärtliche Geste, kein zärtliches Wort, keine Spur von Lächeln für ihn übrig gehabt. Sie hatte ihren Badeanzug und ihre Shorts wieder angezogen und ihn mit einem bösen Blick gestraft.
    »Schade«, hatte sie wiederholt.
    Er hatte sie nicht vergessen können. Hélène war ihr Name.
     
    »Abdul!« Diamantis’ Stimme auf dem Deck. Abdul setzte die Flasche an und schüttete sich den Whisky die Kehle hinunter. Dann stellte er die Flasche neben der Tür zum Ruderhaus ab. Da sah er sie. Zwei fette Kakerlaken. Dicke. Sie rührten sich nicht. Sie schienen seine Nähe zu spüren. Er packte die Flasche am Hals, hob sie langsam hoch und hielt sie parallel zum Boden dicht über die Kakerlaken. Dann schlug er mit dem Fla schenende zu. Die Panzer krachten.
    »Gesindel«, murmelte er.
    Er ließ die Flasche über ihnen und erhob sich, auf eine Hand gestützt. Die Aldebaran stampfte gefährlich. Er lehnte sich einen Moment gegen die Tür und holte tief Luft. Plötzlich war ihm sehr heiß.
    »Abdul!«
    Unsicheren Schrittes ging er in Richtung von Diamantis’ Stimme.
    »Hier bin ich«, sagte Abdul. Er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Sie klang teigig, seine Zunge war schwer.
    Diamantis kam ihm auf der Gangway entgegen. Abdul hatte sich dort aufgestützt, den Blick aufs Meer gerichtet und ein Zigarillo angezündet.
    »Ah! Da bist du.«
    »Am Ende liebt man sein Schiff immer. Glaubst du nicht?« Er sprach langsam, artikulierte jedes Wort.
    »Auch der letzte, verrostete, alte Pott wird irgendwann zu einem begehrten Objekt. Sogar diese Aldebaran. Oder nicht?«
    »Hast du getrunken?«
    »Ist eine Frau an Bord, Diamantis?«
    »Mja«, gab der verlegen zu, auch wenn Abduls Meinung ihn in diesem Moment wenig interessierte.
    »Keine Frau an Bord. Das ist verboten. So steht es in den Vorschriften. Du hast die Dienstvorschrift missachtet.«
    »Abdul …«
    »Wer hat sie aufgegabelt, du oder er? Denn es ist wohl eine Nutte, denke ich.«
    »Wir beide. Wir haben sie nicht zum Vögeln mitgebracht. Das ist eine lange Geschichte. Wir müssen darüber reden.«
    Abdul lachte aus vollem Hals. Ein lautes, kehliges Lachen. Er war besoffen. »Ah! Jetzt willst du reden. Du willst reden, aber wenn es dir passt, Diamantis. Ich wollte vor kurzem mit dir reden. Aber du hattest es eilig. Wieder zu dieser Nutte zu kommen, vielleicht.«
    »Sie ist keine Nutte …« Das konnte er nicht durchgehen lassen. Sie war keine Nutte. Immerhin konnte sie seine Tochter sein. Das wollte ihm nicht aus dem Kopf. Und selbst wenn das nicht stimmte, hatte er nicht das Recht, Lalla vulgär und herablassend zu behandeln. »Abdul, hör zu …«
    »Ich will nichts von dir hören. Ich hab dir nichts zu sagen.« Er richtete sich auf. Das Schiff schlingerte immer noch. Der Schweiß rann in dicken Tropfen. Die feuchte Luft vermengte sich in ihm mit den Dämpfen des Alkohols.
    »Wo ist dieses Mädchen jetzt?«
    »Bei Nedim. In der Messe. Wir haben zu essen und zu trinken mitgebracht. Eine kleine Feier. Wir wollen ihr das Schiff zeigen. Sie ist noch nie auf einem Schiff gewesen.«
    Diamantis erkannte sich selbst nicht wieder. Er redete wie Nedim. Die gleichen Worte. Eine kleine Feier. Was für Trottel sie doch abgaben, Nedim und er. Er hätte das nie zulassen dürfen, tolerieren, mitmachen. Das war gegen

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