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Aldebaran

Aldebaran

Titel: Aldebaran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Komplizenschaft und bemerkte auch, dass Lallas Bein an Nedims klebte.
    »Wissen Sie …«, fing Diamantis wieder an.
    »He, du kannst ruhig du zu ihr sagen«, unterbrach Nedim. »Du hast doch gesehen, wie sie ist? Sie könnte deine Tochter sein!«
    Diamantis gefror das Blut in den Adern. In seinem Kopf begann es sich zu drehen. Ihm wurde schlecht. Ein Schwindelanfall. Lalla. Nein, das war doch nicht möglich, nicht möglich, nicht möglich. Lalla, seine Tochter …
    »He! Gehts dir nicht gut?«, fragte Nedim. Seine Stimme schien von weit herzukommen, sehr weit.
    »Das kommt von den Schlägen«, stammelte er. »Der Magen … Das geht vorüber …«
    »He! Diamantis.«
    Nedim war weit fort, zu weit.
    »Ne-dim …«
    Diamantis’ Kopf kippte zur Seite, von rechts nach links.
    Ihm wurde schwarz vor den Augen. Er war unendlich weit weg.

23 Man kann dem Ärger nicht entrinnen, wenn er einen antreibt
    Kakerlaken, Kakerlaken. Abdul Aziz war die Aldebaran abgeschritten, die Augen auf den Boden geheftet, aufmerksam nach dem kleinsten schwarzen Panzer spähend, der es wagte, über den Laufsteg zu huschen. Er hatte die Messe, die Küche und schließlich seine Kabine peinlich genau untersucht, aber vergebens. Da waren keine Kakerlaken. Wo zum Teufel hatte Diamantis sie gesehen? In seinen Alpträumen zweifellos. Kakerlaken, so ein Spinner! Er würde sie ausrotten. Gnadenlos. Er war bereit, wenn nötig die Nacht dafür zu opfern. Diese widerlichen Viecher machten ihm keine Angst. Er war mit ihnen aufgewachsen. Sie gehörten zu seiner Welt.
    Er ging in die Messe zurück und schenkte sich ein großes Glas Whisky ein. Bevor er auf die Aldebaran zurückgekehrt war, hatte er eine neue Flasche gekauft. Was wirklich Gutes, einen Oban. Einen Pure Malt. Nicht dieses Gesöff, das Diamantis angeschleppt hatte, höchstens genießbar mit Perrier oder Cola. Er hatte sich gesagt, dass ein guter Whisky förderlich für sein Gespräch mit Diamantis sein würde. Ein paar Gläschen lockern die Zunge, wenn man nicht darauf achtet. Aber der Idiot hatte sich geweigert, mit ihm zu reden. Er nahm einen großen Schluck, dann inspizierte er mit dem Glas in der Hand erneut die Küche, entdeckte aber keine Kakerlaken. Er leerte sein Glas, stellte es ab, schnappte sich die Flasche und trat wieder auf den Gang hinaus.
    Bei ihm zu Hause war der Hinterraum des Ladens von Kakerlaken bevölkert gewesen. Seine Mutter versuchte ein Mittel nach dem anderen, ohne Erfolg. Sie wirkten einen Monat oder zwei, sie fanden ganze Kolonnen von toten Kakerlaken, die Füße in der Luft. Dann tauchten sie in gleicher Zahl wieder auf. Er war gegen sie in den Krieg gezogen. Mit sieben oder acht Jahren. Der Kreuzzug gegen die schwarzen Ritter! Damit konnte er Stunden verbringen. Er hatte eine Falle gebaut. Wenn er zwei oder drei gefangen hatte, kreiste er sie mit vier alten Ziegelsteinen ein, beträufelte sie mit ein paar Tropfen Feuerzeugbenzin und warf ein Streichholz darauf. Das musste schnell gehen. Ihr Panzer knackte wie totes Holz, und er schaute zu, wie sie sich wanden und krümmten.
    Die Kakerlaken hatten ihm die saftigste Tracht Prügel seines Lebens eingebracht. Damit konnte er alles in Brand setzen, hatte seine Mutter gewettert. Und dass es außerdem brutal war, so was zu machen. Kakerlaken durfte man töten, aber normal. Mit Mitteln. Sie hatte Angst vor Kakerlaken, deshalb. Die meisten Menschen haben Angst vor ihnen. Vor Kakerlaken, Schaben, Mäusen, Ratten. Und vor Spinnen, Ameisen, Schlangen, Skorpionen, Salamandern und sogar Eidechsen. Er nicht.
    Er nahm einen tiefen Schluck Whisky direkt aus der Flasche, dann ging er ins Ruderhaus. Dreck breitete sich an Wänden und Fenstern aus. Wie die Kakerlaken, wie der Rost. Das menschliche Genie war nichts als Eitelkeit. Dem Menschen fehlt es an Entschlossenheit, Fleiß, Durchhaltevermögen. Er legt die Hände in den Schoß, nur einen einzigen Tag, und am nächsten haben die Kakerlaken und der Rost sich weiter ausgebreitet. Es gibt keinen Sieg. Kakerlaken, Rost, Ratten. Sie zerfressen das Leben. Das Leben und die Liebe. Verlierer.
    Er kippte noch einen Schluck Whisky. »Backbord 2.0!«, grölte er und starrte geradeaus.
    Stimmen stiegen bis zu ihm empor.
    »Mittschiffs.«
    »Mittschiffs.«
    »Halbe Kraft.«
    Sie fuhren in den Panamakanal ein. Sein erstes Kommando. Die Eridan. Kurs Süd, dann Kurs Ost, um schließlich den Pazifik zu erreichen. Von einer Schleuse zur nächsten, von einer Bake zur anderen. Bevor er das Schiff

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