Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
schönen Kleider zu tragen, die er für sie anfertigt. Sie wird sich nicht damit zufrieden geben, daß ihre neuen Kleider einfach geschickt werden. Die Nurse hat den Verdacht, daß der Schneider nur solche Sachen bringt, die schlicht sind, aber weitere Verschönerung verdienen, damit Isabella noch mehr von ihrem Einkommen für modische Stickereien und Knöpfe ausgeben kann. Der Schneider selbst würde einfachere Verzierungen aus Knochen und gebranntem Ton wählen, sagt die Nurse, um seine eigenen Kosten für das Kleid zu verringern; Isabella wählt stets die feinsten Dinge aus Gold und Silber, und der Schneider verdient auf diese Weise mehr, ohne daß er sich dafür anstrengen muß. Isabella ist so verliebt in seine Arbeit, daß sie gar nicht merkt, wenn er Wucherpreise verlangt.« Sie kicherte über ihre skandalöse Enthüllung, als gebe sie ein wohlgehütetes Geheimnis preis.
»Und was sagt Eure Mutter zu solcher Extravaganz?«
Kate zögerte mit der Antwort. Endlich sagte sie: »Meine Mutter gehört nicht zu diesem Haushalt, und in Dingen, die Isabella betreffen, sind ihre Ansichten noch unerheblicher als meine. Sie lebt in London und hört selten den Klatsch über die königliche Familie. Wenn ich sie besuche, berichte ich ihr immer von den Hofintrigen, so gut ich kann, aber die interessantesten Dinge höre ich nicht immer. Was mein Vater für das Ohr eines jungen Mädchens nicht angemessen findet, wird vor mir verheimlicht.«
Also haben dieses Kind und Isabella den gleichen Vater, dachte Alejandro, und es schmerzt sie, über ihre Mutter zu sprechen. Er beschloß, einstweilen keine Fragen mehr zu stellen.
Kate, die nichts von seinen Überlegungen merkte, fragte: »Spielt Ihr gern Schach?«
»Ich habe es noch nie gespielt, aber ich stelle mir vor, es würde mir gefallen, wenn ich es könnte.«
»Soll ich es Euch beibringen?« fragte sie eifrig.
»Ich wäre entzückt, eine so wertvolle Fertigkeit von einer so charmanten Lehrerin zu lernen«, antwortete er.
»Wunderbar!« sagte sie. »Dann erwarte ich Euch nach dem Dinner im Damensalon. Ich freue mich, einen neuen Partner zu haben, denn keine der Frauen meiner Schwester ist darin so gut wie ich, und ich bin es müde, sie gewinnen zu lassen.«
»Spielt die Hofdame Eurer Schwester, Adele, mit Euch Schach?« fragte er.
»Ja, aber ihr liegt wenig an dem Spiel, und sie ist nur mittelmäßig. Ich glaube, sie liest oder stickt lieber, und häufig nimmt Isabella all ihre Zeit in Anspruch. Ich rechne damit, daß Ihr schnell geschickter sein werdet als sie, auch wenn Ihr Anfänger seid.«
Alejandro lachte. »Erwartet nicht zuviel von mir, Kate, denn ich weiß nichts über das Spiel außer dem, was ich beobachtet habe, seit ich hier in Windsor bin. Wenn Ihr sofort mit einem guten Partner rechnet, werdet Ihr bitter enttäuscht sein.«
»Ach, Monsieur«, sagte sie abschließend, »für die unmittelbare Zukunft werde ich meine Erwartungen auf ein Minimum beschränken, aber heute abend werden wir sehen, wie vielversprechend Ihr seid. Meine Mutter sagt, daß man immer mit dem Unerwarteten rechnen muß.«
Und mit den angemessenen höflichen Verbeugungen und Knicksen trennten sie sich.
Keine Stunde nach Kates Fortgang erschien Sir John Chandos an Alejandros Tür. Alejandro hatte sich mit dem umgänglichen Mann angefreundet, dessen barsches Auftreten ein angenehmes und gefälliges Wesen verbarg.
»Ich beneide Euch nicht, Monsieur«, sagte Chandos, »denn Isabella hat sich fast eine Stunde lang beim König beschwert und ihn davon zu überzeugen versucht, daß Eure Behandlungsmethoden schlecht und unerträglich sind. Sie würde Euch am liebsten auf der Stelle nach Avignon zurückschicken.«
Wozu? fragte sich Alejandro. Inzwischen könnten, soweit man in England darüber unterrichtet war, in Avignon alle tot sein. Er bedauerte, daß er so wenig über die Intrige zwischen dem Papst und dem eigenwilligen König und darüber wußte, in welcher Weise sie ihn selbst betreffen könnte.
Was er wußte, war, daß der König von Frankreich, den Edward als Usurpator auf dem eigentlich ihm zustehenden Thron bezeichnete, viel stärker unter dem Einfluß von Papst Clemens stand als sein weltlicher Vetter Edward. Das hatte er auf seiner Reise nach England an den Lagerfeuern erfahren; der Hauptmann seiner Eskorte kannte viele solcher wundervoller Intrigen, und nach Einbruch der Dunkelheit gab es außer dem Erzählen langer und anschaulicher Geschichten, die zweifellos mit jeder
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