Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
»Und kommen Sie bloß nicht wieder, oder ich mache mir gar nicht erst die Mühe, die Polizei zu rufen. Ich kümmere mich einfach selbst um sie.«
Während er zum Restaurant zurückging, rieb er die Hände aneinander und wischte sie dann an seiner Hose ab, als wolle er sie säubern. Die Beobachter sogen beide erschrocken die Luft ein, als der Mann hustete, sich dabei die Hand vor den Mund hielt und danach mit einer ärgerlichen Geste über sein Haar strich.
Caroline lag wie betäubt in der Gasse und verlor langsam das Bewußtsein. Die Beobachter warteten, bis der Wirt wieder in seinem Restaurant verschwunden war, und krochen dann vorsichtig im Schatten durch die Gasse, bis sie Caroline sehen konnten. Die zerlumpte Frau blieb zurück und hockte geduckt an einer Mauer, während der schäbige Mann näher und näher an die ohnmächtige Caroline herankroch; in geringer Entfernung von ihr setzte er sich hin und tat so, als versuche er zu schlafen. Dabei behielt er sie unablässig im Auge.
Als Caroline endlich wieder zu sich kam, fiel gerade der erste Lichtschein des beginnenden Morgens in die Gasse. Sie richtete sich zu einer sitzenden Stellung auf und sah sich um; ihr Blick fiel auf den schlafenden Mann in der Nähe. War er schon dagewesen, als sie letzte Nacht das Bewußtsein verlor? Ich kann mich nicht erinnern ... dachte sie. Warum kann ich mich nicht erinnern?
Sie atmete tief ein und bereitete sich darauf vor, sich zu erheben; als Luft in ihre Lungen strömte, spannten sich ihre Brustmuskeln abwehrend. Der plötzliche Schmerz bewirkte, daß sie einen trockenen, bellenden Hustenanfall bekam. Als er nachließ, rappelte sie sich auf die Füße, fiel aber fast sofort wieder zu Boden.
Ich werde hier wegkriechen müssen . Auf Händen und Knien bewegte sie sich langsam an dem übelriechenden Mann neben ihr vorbei auf das Ende der Gasse zu; ihre zu großen gestohlenen Schuhe schleiften hinter ihr her.
Sobald sie in sicherer Entfernung war, kroch der stinkende Mann zu seiner Gefährtin zurück. »Sie kriecht zum Ende der Gasse«, flüsterte er ihr zu. Sie nickte und sagte: »Dann hole ich den Karren und ziehe los. Wünsch mir Glück.«
»Viel Glück«, sagte er und sah zu, wie sie in die entgegengesetzte Richtung verschwand.
Als Caroline halb kriechend, halb stolpernd die Straße erreicht hatte, sah sie eine Bank. In ihrer Benommenheit schien sie ihr wie ein lohnendes Ziel, eine Verbesserung ihrer gegenwärtigen verzweifelten Situation. Die Bank war nicht besetzt, und sie dachte, sie könne sich dort ein Weilchen ausruhen und ihren verwüsteten Körper vom Boden erheben, während sie sich überlegte, was sie als nächstes tun sollte.
Sie zog sich auf die Bank und rollte sich an einem Ende zusammen. Eine Schar Tauben kam geflogen und ließ sich zu ihren Füßen nieder. Sie machte einen halbherzigen Versuch, sie zu vertreiben. Fliegende Ratten, dachte sie. Sozialhilfementalität.
»Ich mag sie auch nicht sonderlich«, sagte eine unbekannte Frau. Caroline blickte auf und sah eine zerlumpt wirkende Frau vor sich stehen; sie war merkwürdig gekleidet und trug eine zerrissene braune Tasche über einer Schulter. Sie lächelte und lehnte sich an einen rostigen, verbeulten Einkaufswagen, der bis auf ein paar alte Zeitungen leer war. »Haben Sie was dagegen, daß ich mich auch ein bißchen ausruhe? Bin ein bißchen müde.«
Sie sieht harmlos aus, dachte Caroline. Sie zuckte schwach mit den Schultern und bedeutete der Frau, sie könne sich ruhig niederlassen. Die dicke
Frau füllte den restlichen Platz auf der Bank, die unter ihrem Gewicht merklich nachgab.
»Sie sehen selbst müde aus«, sagte sie zu Caroline. »Vielleicht ein bißchen unpäßlich?«
Obwohl Caroline kaum Energie für höfliche Konversation übrig hatte, antwortete sie schwach: »Ein bißchen.«
Die zerlumpte Frau lächelte. »War eine lange Nacht, nicht?« Sie beugte sich näher zu Caroline und sagte: »Ich hatte zu meiner Zeit auch ein paar lange Nächte; einige waren recht denkwürdig, andere würde ich lieber vergessen!« Sie lachte herzlich über ihre eigene Bemerkung und schlug sich auf die Knie. »Sie müssen wissen, ich war damals jünger und noch so hübsch, daß man mir nachschaute.«
Mit einiger Anstrengung schaute Caroline zu der Frau auf und fragte sich, wie lange es her sein mochte, daß man diese Frau noch als »hübsch« bezeichnen konnte. Die Frau sah ihren Blick und fuhr fort: »Ach, ich weiß schon, was Sie vermutlich denken. Sie fragen
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