Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Projektionsapparate, einen an der Decke, einen auf dem Fußboden. Der Mann bediente einen Schalter, und es wurde ziemlich dunkel im Raum.
»Sind Sie soweit?« fragte er sie.
Bin ich bereit? fragte sie sich. Werde ich jemals bereit sein, all meine eigenen Mängel zu sehen? Schweigend saß sie einen Moment da und dachte über das nach, was sie gleich sehen würde. Sie hatte ihre Gesundheit immer als selbstverständlich betrachtet; sie war selten krank und noch niemals ernstlich verletzt gewesen. Während die Leute um sie herum wie die Fliegen starben, hatte sie es geschafft, die Ausbrüche zu überleben. Plötzlich war sie voller Angst. Was ist, wenn mein Glück mich verlassen hat? Was, wenn es irgendwelche Tumore gibt? Was, wenn es irgendeine genetische Zeitbombe gibt, die bald explodieren wird? Will ich das überhaupt wissen?
Doch trotz ihrer Angst und Unsicherheit gab es einen Teil von ihr, den, der die Medizin liebte, der alles wissen wollte. Das einzige, was ich wirklich nicht ändern kann, ist der Tag, der für meinen Tod vorgesehen ist, dachte sie bei sich, gegen fast alles andere kann man etwas tun. Sie wußte, daß selbst ein so raffiniertes Werkzeug wie ein Bodyprint nicht feststellen konnte, wie lange sie leben würde, also nahm sie ihren Mut zusammen und nickte bejahend.
»Bitte achten Sie auf den Bereich zwischen den beiden Projektoren«, sagte der Wachmann.
Vor ihren Augen nahm langsam ein holographisches Bild ihres eigenen Körpers Gestalt an. Plötzlich stand sie in all ihrer nicht mehr ganz jungen Nacktheit vor sich selbst. Das Bild zeigte deutlich ihre Spannung und die Grimasse, die sie in dem Augenblick gezogen hatte, in dem sie geprintet worden war. Als der Biocop die Bestürzung auf ihrem Gesicht bemerkte, sagte er: »Keine Sorge. Auf diese Dingern sieht nie jemand gut aus.«
»Manche Leute sehen überall gut aus«, erwiderte sie. »Ich gehöre zufällig nicht dazu. Aber das macht nichts. Was haben Sie gefunden?«
»Schauen wir mal ...« Er blätterte einige Seiten durch, sagte »normal, normal, normal«, hielt dann inne und drückte ein paar Knöpfe auf der Konsole, die er vor sich hatte. Alles bis auf Janies Blutkreislauf schmolz dahin, und sie sah nur noch eine Masse aus Venen, Arterien und Kapillaren, die ihre Körperform hatte. In einer Vene ihres rechten Unterschenkels leuchtete ein winziges Licht. »Da.« Der Mann zeigte darauf. »Sie haben das Potential für eine Krampfader.«
Erstaunt sah Janie zu, wie er auf mehrere geringfügige Lichtpunkte in ihrer Physis zeigte, kleine Anomalien, die wenig zu bedeuten hatten. Ein vorstehender mittlerer Zeh an einem Fuß, wo sie sich einmal gestoßen hatte; sie erinnerte sich an den pochenden Schmerz vor vielen Jahren. Ihr Blinddarm war noch vorhanden, verschwand aber unter dem Dickdarm.
»Hatten Sie je Verdauungsstörungen?« fragte der Wachmann.
»Oh, ja ...«, antwortete sie.
»Das ist vermutlich der Grund«, sagte er. Dann lächelte er und fügte hinzu: »Aber ich sage Ihnen nichts, was Sie nicht schon wüßten, oder?« Als er das Bild ihrer Fortpflanzungsorgane durchging, sagte er: »Sterilisiert, wie ich sehe ...« Dann hielt er bei der Seite inne.
Er betrachtete das Bild und schaute dann wieder auf die geschriebene Seite, die vor ihm lag. Er drehte an ein paar Knöpfen auf der Konsole, machte das Bild transparenter und griff nach einem Zeigestock.
»Aber hier ist etwas, das Sie nicht wissen . Ich weiß nicht, ob Sie es von da aus sehen können, aber gleich da«, er wies mit dem Zeigestock mitten durch das Bild auf die Abbildung einer bestimmten Stelle in ihrer linken Brust, »taucht etwas mikroskopisch Kleines auf. Könnte irgendeine sich entwickelnde Läsion sein. Oder, genauer, ein Tumor in Wartestellung. Sie sollten das so schnell wie möglich herausschneiden lassen.« Janie zuckte zusammen, als er den Zeigestock zurückzog, als ziehe er ihn tatsächlich aus ihrem Fleisch.
Sie betrachtete den kleinen Flecken in ihrer Brust und dachte, vor dem Bodyprinting wäre er erst entdeckt worden, wenn er groß genug war, auf einer Mammographie zu erscheinen. Hätte sie früher gelebt, vor den Fortschritten in der Behandlung von Brustkrebs, hätte diese kleine, unentdeckte Läsion vielleicht zu einem vorzeitigen und schmerzhaften Tod geführt. Sie dachte auch daran, daß nun, nachdem ihr Bild einmal im System war, jeder auf der Erde, der Zugang dazu hatte, wußte, daß sie irgendeine Art von Läsion der Brust hatte. Plötzlich fühlte sie
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