Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
»Also gut«, sagte sie. »Jetzt habt Ihr meine Aufmerksamkeit.«
»Zu allererst möchte ich wissen, wie .«
»Wie es kommt, daß Ihr mit Pferden von meinem Haus fortgeritten seid, während ich dastand und Euch nachsah, und ich dann selbst, ohne ein Pferd zu haben, vor Euch hier ankam?«
»Ja!«
»In Wahrheit, junger Mann, geschah es nicht so.«
»Aber ich habe Euch mit eigenen Augen gesehen, und meine Gefährtin Adele auch!« rief er.
Adele kam aus dem Nebenzimmer, Kate in den Armen.
»Bitte, sagt dieser Frau, was wir gesehen haben.«
»Alejandro, das Kind ...«, sagte sie mit besorgter Miene. »Ich möchte nicht, daß Kate das hört. Es ist Blasphemie!«
Er löste Kate aus Adeles Armen und übergab sie der Dienstmagd, die das Kind wegführte. Nachdem sie sie nicht mehr hören konnte, berichtete Adele der alten Frau von den Ereignissen bei ihrem Ritt.
»Ihr habt mich nicht vorbeikommen sehen, als Ihr fortgeritten seid?«
Alejandro und Adele sahen einander an. Adele zuckte mit den Schultern, und Alejandro sagte: »Ich erinnere mich nicht, eine Frau wie Euch gesehen zu haben.«
»Aber es waren Reisende auf der Straße, nicht wahr?« sagte die alte Frau.
»Ja«, antwortete er fast zornig, »aber niemand, der wie Ihr aussah!«
»In den Jahren, in denen ich Menschen mit Störungen an Körper und Seele behandelt habe, habe ich viele Leute gekannt, die sehen, was sie sehen wollen, und überhaupt nicht auf das achten, was sie wirklich vor sich haben. Es muß für Euch von allergrößter Bedeutung gewesen sein, mich heute auf dieser Lichtung zu sehen, sonst hättet Ihr sicher erkannt, daß das Haus und die Lichtung ganz leer waren.«
»Weib, ich versichere Euch«, sagte er jetzt mit ungezügelter Wut, »daß meine Seele, mein Körper und mein Geist völlig gesund sind und daß ich nicht daran zweifle, daß Ihr bei dieser Hütte wart, wie meine Gefährtin bestätigt hat.«
Er wartete auf eine Antwort der alten Frau, aber sie schwieg einfach, die Hände vor dem üppigen Busen gefaltet.
»Nun? Was habt Ihr dazu zu sagen?«
»Ich, Ihr unverschämter Grünschnabel, habe zu sagen, daß ich nicht daran zweifle, daß Ihr an die Wahrheit Eurer Geschichte glaubt; in Wirklichkeit aber erinnert Ihr Euch nur an einen höchst angenehmen Traum. Wie kann man sicher sein, daß Eure müden Köpfe sich das ganze Geschehnis nicht nur eingebildet haben, einfach um der Freude willen, in diesen schweren Zeiten etwas Wunderbares zu haben, dem man nachhängen kann?«
»Aber ich besitze die Dinge, die Ihr mir gegeben habt - die Medizin.«
». von der Ihr nicht mit Sicherheit behaupten könnt, daß Ihr sie von mir erhalten habt.«
Verzweifelt über ihr wiederholtes Leugnen warf Alejandro die Hände in die Luft. Rastlos ging er in dem kleinen Raum auf und ab und murmelte vor sich hin. Endlich sagte er mit vor Enttäuschung bitterer Stimme: »Dann laßt mich wenigstens begreifen, warum Eure Anstrengungen fehlgeschlagen sind, das Leben der Lady zu retten. Nach dem, was die Dienstmagd erzählt hat, hat sie mit der Krankheit mehr als vierzehn Tage überlebt! Das ist bemerkenswert; ich habe nie einen solchen Erfolg gesehen; was ist in den letzten Stunden fehlgeschlagen? Ich muß es wissen!«
Die alte Frau setzte sich hin und stieß einen tiefen Seufzer aus, ehe sie antwortete: »Arzt, wendet Ihr Eure Fähigkeiten jemals auf Patienten an, die unmöglich überleben können?«
Er sagte nichts, doch seine Gedanken wandten sich sofort Carlos Alderons langsamem Verfall zu.
»Tja, das dachte ich mir«, sagte sie, als sie seinen beschämten Blick sah. »Eure Augen verraten Euch, auch wenn Ihr nicht darüber sprechen könnt.«
Mit hängendem Kopf sagte Alejandro: »Ihr habt recht; ich habe schon solche vergeblichen Behandlungen vorgenommen.«
Ihre Stimme wurde nun beruhigender und sanfter. »Betrachtet diese Behandlungen niemals als vergeblich, denn ihre Wirkung auf die Lebenden ist weit folgenreicher. Wenn ich heute diese Lady einfach verlassen hätte, wäre meine Mißachtung derer, die sie liebten, für sie genauso tödlich wie die Pest selber. Ich will einem Kind nicht die Hoffnung nehmen. Aber wenn ich behaupten würde, ein Heilmittel zu besitzen, würde ich lügen; ich habe das Sterben lange hinausgezögert, aber ein Heilmittel habe ich nicht.«
Ziemlich grob sagte Alejandro: »Dann waren all diese lächerlichen Zaubertricks und Gesänge nur billige Täuschung, und Ihr vermögt in Wahrheit nicht mehr als ich!«
Sie warf ihm einen
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