Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
Vermutungen anstellen zu können. In ein paar Tagen kann ich dir mehr sagen. Im Augenblick ist sie ziemlich schwach, und es ist gar nicht an eine Reise zu denken. Sie ist jung und wird sich bald erholen, aber gegenwärtig ist sie unsagbar schwach und anfällig, und deswegen glaube ich, daß ihre Genesung nicht so schnell gehen wird.«
»Dann müssen wir wohl zusehen und warten und darum beten, daß ihre Gesundheit bald wiederkehrt.«
»Ja, das müssen wir wohl«, antwortete er resigniert.
Kates schnelle Genesung überraschte alle. Nach sechs oder sieben Tagen hatte sie einen guten Teil ihrer früheren überschäumenden Lebhaftigkeit zurückgewonnen. Ihre Lippen waren nicht mehr rissig, und ihre Gestalt war nicht mehr so jämmerlich mager; ihre Wangen fingen an, ein wenig Farbe zu zeigen, und ihr reizendes Lächeln kehrte zurück. Sie schwatzte unablässig mit jedem, der ihr zuhören wollte.
Alejandro wußte, daß es Zeit zum Aufbruch war; er war zwar begierig, den unangenehmen Auftrag zu Ende zu bringen, den der König ihm gegeben hatte, aber er wußte auch, daß ihre Rückkehr nach Windsor das Ende der seligen Intimität bedeuten würde, die er und Adele genossen hatten. Er war zwar sicher, daß man Kate überreden konnte, ihr Geheimnis für sich zu behalten, doch andere in Windsor würden ihre Verbindung vielleicht nicht mit so freundlichen oder begeisterten Augen sehen.
Schließlich sagte er zu Adele: »In zwei Tagen werden wir nach Windsor aufbrechen!«
»Gnädige Madonna! Wie habe ich mich danach gesehnt, diese Worte zu hören!« Begeistert rief sie die Haushälterin, und sie begannen, ihre Habseligkeiten zu ordnen.
Er beobachtete sie mit großer Trauer; er wußte, er konnte ihr ihre Gefühle nicht verübeln, ganz gleich, welche Wirkung sie auf ihn hatten. Er wandte sich ab und ging zu dem Stallknecht, um diesen anzuweisen, die Pferde für die Reise vorzubereiten; sein Herz brannte vor Trauer um eine Liebe, die gewiß keine Zukunft hatte.
Auf dem Rückweg nach Windsor kamen sie an einem kleinen Kloster mit einer Kapelle vorbei. Als sie sich ihm näherten, sagte Adele: »Laßt uns hier anhalten; ich möchte die Beichte ablegen. Es ist viel zu lange her, seit ich zuletzt von meinen Sünden losgesprochen wurde, und ich möchte, daß Gott mir wieder lächelt.« Ohne auf Alejandros Reaktion zu warten, stieg sie von ihrem Pferd.
»Soll ich mit Kate hier warten?« fragte er, noch immer im Sattel sitzend.
Der Blick, den sie ihm daraufhin zuwarf, war neugierig und fragend. »Warum könnt Ihr nicht beide mit hineinkommen?«
Es kann keine annehmbare Erklärung geben, dachte er bei sich. Ich habe keine andere Wahl, als zu gehen. Er zuckte mit den Schultern, saß ab und hob Kate von dem Reittier, das sie mit Adele geteilt hatte.
Sie zogen die Glocke, und bald erschien ein kleiner, zerbrechlich aussehender Mönch in brauner Kutte.
»Vater, ich möchte beichten«, sagte Adele.
Er sah zuerst Adele an und dann den großgewachsenen Mann mit dem kleinen Mädchen an seiner Seite. Alejandro spürte, wie der Priester ihn forschend musterte.
»Und Ihr?« fragte der Mönch.
Alejandro zögerte einen Augenblick, ehe er sprach. »Ich werde beten, während wir auf die Lady warten«, sagte er.
»Wie Ihr wünscht«, sagte der Mönch und ließ sie ein.
Die Zeit, die Adele brauchte, um dem Priester ihre Seele zu offenbaren, kam Alejandro sehr lang vor. Was kann sie für Sünden begangen haben, daß es so lange dauert, sie aufzuzählen? fragte er sich. Er sah sich in der Kapelle mit der gewölbten Decke um und legte den Kopf in den Nacken, um die Deckengemälde zu betrachten.
Selbst ihre kleinen Tempel sind luxuriös, dachte er. Und die Fenster, so hoch, so bunt ! Obwohl sieben weitere Mönche vor dem Altar beteten, war es in der Kapelle beinahe völlig still. Sie beten lautlos , dachte er und erinnerte sich an die lauten Anrufungen, die sein Vater am Sabbattisch anzustimmen pflegte.
Dann standen die sieben Mönche gleichzeitig auf und begannen langsam, durch den Mittelgang der Kapelle zu schreiten. Der erste begann mit klarer, süßer Stimme zu singen, und die sechs anderen wiederholten unisono die gleiche Melodie. Ihr Gesang stieg zur Decke auf und hallte von den Gewölben nieder. Er war ergreifend und fast schmerzhaft schön, und Alejandro fühlte sich merkwürdig beglückt von den sanften Tönen der vereinten Stimmen. Während sie in einer langen Reihe das Gotteshaus verließen, setzten die Mönche ihren Gesang fort; als
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