Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
fast mehr, als ich ertragen kann.«
»Wir müssen etwas tun; wenn die Leiche dort gefunden wird, kommt Caroline niemals aus England raus«, sagte Janie; ihr schriller Ton mißfiel ihr selbst.
Bruce beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände. Er atmete tief ein und stieß dann einen langen, frustrierten Seufzer aus. »Es geht jetzt nicht mehr nur um Caroline«, sagte er. »Wir müssen Caroline nicht nur finden und isolieren, wir müssen es auch schaffen, ohne daß man uns selbst damit in Verbindung bringen kann. Wer weiß, was sie in den Spuren finden, die wir hinterlassen haben. Du kannst darauf wetten, daß sie irgend etwas finden werden, und sie werden sich nicht scheuen, daraus eine Anklage gegen uns zu konstruieren. Du und ich wis- sen, daß wir mit diesem ganzen Fiasko nichts zu tun hatten, aber die Burschen in Grün wissen das nicht. Und wenn wir eingesperrt werden, bevor wir Caroline finden, dann weiß Gott allein, wohin sie gehen oder was sie tun wird. Sie läuft da draußen rum wie der wandelnde Typhus. Sie könnte halb London anstecken, bevor jemand begreift, was da passiert, und sie aufhält.«
Er richtete sich wieder auf und sah ihr direkt in die Augen. »Vielleicht müssen wir das Ganze im Auge behalten. In dieser Stadt und um sie herum leben fünfzehn Millionen Menschen. Und eines weiß ich noch von der Pest, nämlich, daß sie eine Sterblichkeitsrate von ungefähr neunzig Prozent hat, wenn sie nicht behandelt wird.«
Janie wußte, alles, was er sagte, war richtig; die Realistin in ihr sagte: Gib auf. Es besteht keine Hoffnung. Geh jetzt fort, solange sie dir vielleicht noch glauben. Sie erinnerte sich an John Sandhaus’ Worte. Tu das Richtige, Janie. Sie dachte daran, wie es sich anfühlen würde, von der fast unerträglichen Bürde befreit zu sein, die sich unaufgefordert auf ihre Schultern gelegt hatte, sehr schnell und ohne die leiseste Vorwarnung. Das Gefühl der Leichtigkeit, das sie dabei empfand, war süß und verführerisch, und sie sehnte sich verzweifelt danach.
Sie konnte sehen, daß Bruce auf eine Antwort auf das wartete, was er gesagt hatte. Er ist ein guter Mensch, dachte sie, und ich könnte ihn lieben, wenn all das vorbei ist . Sie wußte, das, was sie jetzt tat, würde weitgehend ihre gemeinsame Zukunft bestimmen. Vielleicht ist es schon zu spät, dachte sie, aber dagegen kann ich nichts machen .
Der Nachthimmel begann ein wenig heller zu werden; die Morgendämmerung war nur noch wenige Stunden entfernt. Vielleicht wird das Tageslicht die Dinge klarer erscheinen lassen, dachte sie hoffnungsvoll. »Laß mir nur Zeit, bis es hell wird«, sagte sie. »Wenn wir bis dahin nichts von ihr gehört haben, werde ich anrufen.«
Sie konnte sein Widerstreben sehen und rechnete damit, daß er nein sagen würde. Doch er überraschte sie mit den Worten: »Also gut. Wenn es hell wird.« Er nickte in Richtung Hotel. »Inzwischen laß uns überlegen, was mit Teds Leiche zu tun ist.«
Er stand von der Bank auf, reckte sich, streckte dann den Arm aus und nahm ihre Hand. Er zog sie hoch, und sie war froh über seine Hilfe. Sie umarmten sich kurz, für den Augenblick wieder vereint, und gingen auf das Hotel zu.
Sarin wurde immer ungeduldiger. Wie eine schwangere Frau, deren Entbindung dicht bevorsteht, hatte er einen weiteren Energieschub gehabt und alles noch einmal überdacht, um sicher zu sein, daß es so war, wie er es haben wollte. Er richtete alles her und bereitete sich darauf vor, die schwere Zeit, die vor ihm lag, möglichst gut zu überstehen. Er fürchtete sich nicht mehr, sondern harrte erwartungsvoll seiner Aufgaben, und als die Stunden vergingen, dachte er, daß das Warten anstrengender war als die Vorbereitungen.
Der Hund hatte den erregten Zustand seines Herrn gespürt und folgte ihm mit besorgten Augen durch das Haus. Die normale tägliche Routine war von Sarins Aktivitätsausbruch gestört worden; der Hund, der ein Gewohnheitstier war, war den ganzen Tag verwirrt gewesen. Es sah dem alten Mann gar nicht ähnlich, sich an einem einzigen Tag so sehr anzustrengen.
In der Dämmerung nahm Sarin die Hundeleine vom Haken und winkte damit. »Also, sollen wir?« sagte er. Der Abendspaziergang war das erste Anzeichen von Normalität an diesem seltsamen Tag, und der Hund wurde plötzlich lebhaft wie ein junges Tier, wedelte mit dem Schwanz und sprang fröhlich auf und ab.
Der Himmel war ungewöhnlich klar, und Sarin schaute über die Baumwipfel hinweg
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