Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
sorgen.
»Vielleicht wird Euer Gott Euch Licht schicken«, sagte der Wärter, lachte grausam und schlich davon. Er würde später zurückkehren, wenn der Gefangene ruhiger war, um ihm seine tägliche Nahrungsration zu bringen.
Rasch hielt Alejandro das Pergament so nahe an die Tür, wie er nur konnte. Ein dünner Lichtstrahl fiel durch die Ritze, und als er das Pergament darin bewegte, konnte er eine vertraute Schrift erkennen. Sein Vater hatte in einer Sprache geschrieben, die nur ein Jude lesen konnte; er hatte gewußt, daß der Priester sie nicht entziffern konnte und daß kein anderer Jude ihn verraten würde, indem er sie korrekt übersetzte.
Mein Sohn ,
verzweifle nicht, denn bald wirst Du befreit werden. Ich habe dafür gesorgt, daß Du freies Geleit nach Avignon erhältst, wo das päpstliche Edikt die Juden vor Verfolgung schützt . Das ist Deine beste Überlebenschance. Die Priester werden Dich einem Söldner übergeben, der ein Päckchen von mir bei sich tragen wird. Der Inhalt wird für Deine Bedürfnisse auf der Reise sorgen. Achte auf Deine Gesundheit und bete täglich um die Kraft, die Du in den kommenden Tagen brauchen wirst. Möge Gott Dich beschützen, bis wir uns Wiedersehen.
Dein Dich liebender Vater
Nachdem er den Brief gelesen hatte, saß Alejandro lange zitternd da, den Rücken an die Mauer gelehnt. Er versuchte, sich zu beruhigen, denn er wußte, wenn er sich aufregte, würde sein Durst nur schlimmer; wie immer hatte sein Vater recht. Er mußte seine Kräfte schonen.
So saß er noch immer, als eine kurze Weile später die Tür wieder geöffnet und Brot und Wasser hingestellt wurden. Dann blieb er wie zuvor allein in der Dunkelheit, genoß jede Krume des Brotes und leckte mit seiner verdorrten Zunge auch den letzten Wassertropfen aus der Schale. Er versuchte weder zu entkommen noch mit seinem Wärter zu sprechen, sondern lehnte sich zurück und wartete auf seine Befreiung. Er schlummerte ein.
Er erwachte von einem Licht, das seine entwöhnten Augen fast blind machte. Er wußte, es war nur das Licht, das durch die Tür fiel, doch ihm kam es vor, als fielen gleißende Sonnenstrahlen in seinen Kerker. Er hörte eine Stimme, die ihn rief, und kroch rasch zur Tür. Er beschirmte seine Augen, bis sie sich der Helligkeit besser anpaßten.
Die Stimme forderte ihn auf, durch die kleine Tür zu kriechen, und er gehorchte dankbar. Er glaubte an seine Rettung und war begierig, frische Luft zu atmen, die nicht nach seinen eigenen Exkrementen stank.
»Steht auf, Jude«, wurde ihm befohlen. Er tat es zittrig und konnte noch immer nicht richtig sehen. Unvermittelt wurde er gegen die Wand des Durchgangs geschleudert und von zwei Mönchen an den Schultern festgehalten. Ein anderer stieß sein Gesicht zur Seite und legte seine Wange frei. Alejandro brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu erkennen, daß der Gegenstand, der sich seinem Gesicht näherte, ihm Schaden zufügen sollte; doch das reichte, um seinen Körper hochzustemmen und sich dem Griff der Mönche zu entwinden. Statt seines eigentlichen Ziels traf das rotglühende Brandeisen die Mitte seiner Brust und brannte ein Loch in den Stoff seines Hemdes. Er stieß einen wilden Schmerzensschrei aus.
»Das Gesicht!« sagte einer der Wärter zornig. »Wir müssen es noch einmal machen!«
Als er das hörte, begann Alejandro sich so heftig zu wehren, daß sie ihn kaum halten konnten. Er kratzte wie ein Tier, riß einem der Männer den Arm auf, und dieser ließ ihn prompt los. Er kroch wieder in seine Zelle, zog sich, wie ein Neugeborenes es gern tun würde, in die Sicherheit des Schoßes zurück, in die ihm seine Wärter nicht folgen würden.
Der verletzte Mönch prüfte rasch seine Wunde. Sie blutete zwar heftig, doch er wußte, daß sie nicht gefährlich war. Er rappelte sich auf und griff nach dem Brandeisen, wollte es noch einmal versuchen, doch zu seiner Enttäuschung sah er, daß es nicht mehr glühte. Unwillig ließ er das üble Gerät fallen und schlug die Kerkertür zu. »Die Brust muß genügen«, sagte er.
Alejandro erschlaffte, als er hörte, wie die Schritte auf dem Gang sich entfernten. Er lag da, und es kam ihm wie eine Ewigkeit vor; er wußte, daß man ihn gebrandmarkt hatte. Er spürte den sengenden Schmerz der Verbrennung und die rasende Wut über seine Demütigung. Er fieberte, und sein ganzer Körper überzog sich in dem dumpfen Kerker mit einem dünnen Schweißfilm. Einmal war ihm kalt, dann wieder glühend
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