Alejandro Canches 01 - Die siebte Geissel
davonzureiten. Ich glaube, Avignon ist gefährlicher für mich als ein Platz am Lagerfeuer.«
Diese Erklärung seines tapferen Freundes ernüchterte Alejandro. Er versuchte, die herzliche Stimmung wiederherzustellen, und prophezeite kühn: »Ihr werdet nach Avignon zurückkehren, und ich werde Euren nächsten Besuch ungeduldig erwarten; ich rechne fest damit, daß Ihr mich mit Erzählungen über Eure neuesten Abenteuer unterhaltet. Bis dahin werde ich Eure angenehme Gesellschaft und unsere Gespräche bitter vermissen.«
Mit einer höflichen Verneigung trank Hernandez seinem jungen Gastgeber nochmals zu. Ale- jandro dachte an zukünftige Abendmahlzeiten, bei denen ihm nur seine Hauswirtin Gesellschaft leisten würde, und er wußte, Hernandez würde ihm tatsächlich fehlen.
»Und jetzt, mein Freund, verlasse ich Euch für heute abend und suche die Gesellschaft einer fröhlichen Dirne. Ich verspüre das Bedürfnis, meine alten Geschichten noch einmal zu wiederholen.«
Am Vorabend des Tages, an dem sie das Bankhaus aufsuchen sollten, entschuldigte sich Hernandez und stand vom Tisch auf, bevor er seine Mahlzeit beendet hatte, er klagte über Magenbeschwerden.
»Dieses französische Essen ist zu reichhaltig für mich. Ich habe in dieser Woche mehr Eier und Käse gegessen als während der ganzen Zeit in Aragon. Ich glaube, heute nacht gewähre ich meinen Verdauungsorganen eine Verschnaufpause.«
Gegen Mitternacht schwitzte und fror er abwechselnd; mal zog er seine Decke eng um sich, mal warf er sie heftig ab. Gegen alle Vernunft hoffte Alejandro, die Symptome seines Freundes seien nur die einer vorübergehenden Influenza oder einfach ein Anfall von la grippe; also behandelte er Hernandez entsprechend, flößte ihm Tee ein und wischte ihm mit kaltem Wasser und einem Schwamm das Gesicht ab.
Von der Wirtin borgte er sich eine Lampe mit dem Versprechen, den Ölbehälter am folgenden Tag wieder aufzufüllen. Dann lief er rasch in seine nahe Praxis und suchte die Geräte zusammen, die er für die Behandlung von Hernandez’ Krankheit brauchen würde, falls seine schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiten sollten. Er würde sein Messer, sein Skalpell und eine Schüssel zum Auffangen des Blutes nötig haben, etwas Laudanum, um den Schmerz zu lindern, und viel Wein, den er seiner Wirtin abkaufen würde.
Als Alejandro in sein Haus zurückkehrte, ging es Hernandez sichtlich schlechter. Sein Atem war flach, und sein normalerweise gerötetes Gesicht sah bleich und teigig aus. Alejandro wies die Wirtin an, einen großen Becher zu bringen, füllte ihn mit starkem Wein und zwang Hernandez, diesen zu trinken. Der Wein schien ihn zu beruhigen.
Doch kurz darauf setzte der beleibte Mann sich ohne Vorwarnung im Bett auf, seine Augen traten hervor, und er übergab sich so heftig, daß der unverdaute Inhalt seines Magens durch das ganze Zimmer spritzte. Die Wirtin ächzte voller Ekel und eilte aus dem Zimmer; Alejandro hörte ihre hastigen Schritte auf der Treppe, versuchte aber nicht, ihr zu folgen.
Hernandez beruhigte sich ein wenig, nachdem er seinen Mageninhalt losgeworden war. Alejandro öffnete die Fensterläden, um den unangenehmen Geruch zu vertreiben, und zog einen Stuhl neben das Bett des Kranken. »Ich werde bei Euch wachen, Hernandez, und für Eure Bedürfnisse sorgen«, sagte er. Dann legte er den Kopf auf die Arme und fiel in unruhigen Schlaf, wobei er immer wieder kurz von Carlos Alderon träumte.
Das Zwitschern einer Amsel auf dem Sims des offenen Fensters weckte ihn auf. Er schaute nach Hernandez und sah, daß der Kranke noch friedlich schlief. Die grobe dunkle Decke war bis zum Hals des Soldaten hochgezogen, und sein kalkweißes Gesicht hob sich unheimlich davon ab. »Euch muß sehr warm sein, mein guter Freund«, sagte Alejandro und legte eine Handfläche auf Hernandez’ schweißnasse Stirn.
»Ja, tatsächlich«, antwortete er sich selbst und zog die Decke ein wenig hinunter.
Er hatte die scheußlichen Schwellungen an den Hälsen der Leichen gesehen, doch der Anblick eines so entstellten Lebenden drehte ihm den Magen um. Hernandez’ Hals war unförmig aufgequollen. Blaue und schwarze Flecken umgaben eine große, runde Beule. Alejandro streckte die Hand nach Hernandez aus und spürte, daß das Fleisch immer wärmer wurde, je näher seine Finger dem Hals kamen; er legte die Fingerspitzen leicht auf die heiße Haut, tupfte sanft auf die runde Schwellung und war überrascht, wie fest sie sich anfühlte. Er wußte
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