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Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus

Titel: Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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betrachtet hatte, hinaus zu denken, fielen ihm wieder ein. Sie war es gewesen, die ihm die heilende Kraft des schwefelhaltigen Wassers offenbart hatte, das als übel riechende Quelle aus den Tiefen der Erde aufstieg. War sie durch einen glücklichen Zufall auf dessen chemische Eigenschaften gestoßen oder hatte schon vor ihr jemand aufgrund wiederholter Beobachtungen die richtigen Schlüsse gezogen? Er bedauerte es, dass er sie nicht danach gefragt hatte, als sich ihm die Gelegenheit bot.
    Er rief sich die Worte des Talmud ins Gedächtnis: Wenn wir in unseren letzten Stunden unserem Schöpfer gegenübertreten, müssen wir uns für all die Freuden rechtfertigen, die wir nicht genossen haben. In gleicher Weise, so nahm er an, würde Gott ihn für all das Wissen, das zu erwerben er versäumt hatte, zur Rechenschaft ziehen.
    Warum, klagte er im Stillen, während er weiterritt, kann ich nicht ein zweites Leben haben, damit ich all das lerne und verstehe, was mir in diesem Leben versagt bleibt?
    Plötzlich befand er sich am Rand einer Lichtung und erblickte vor sich die Kate, in der Mutter Sarah gewohnt hatte. Er brachte sein Pferd zum Stehen und blieb still auf dem großen Tier sitzen, alle seine Sinne konzentriert auf das hin ausgerichtet, was er kaum zu hoffen wagte. Das Summen der Insekten klang ihm wie Donnergrollen in den Ohren, das Rauschen der
Blätter wie Trommelwirbel. Der Schatten eines Vogels hätte genauso gut ein zuckender Blitz sein können. Als aus einem dicht belaubten Busch ein Kaninchen hervorschoss, zuckte Alejandro erschrocken zusammen. Plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Aber das musste noch warten, bis er sicher sein konnte, dass er und dieser Ort tatsächlich existierten.
    Aus dem Gebüsch zu seiner Rechten drang eine Stimme an sein Ohr.
    »Willkommen zurück, Medicus.«
    Das Pferd drehte sich einmal im Kreis, bevor es Alejandro gelang, es zu zügeln. Nachdem es sich wieder beruhigt hatte, wandte er es nach rechts und wähnte sich erneut einer Erscheinung gegenüber.
    »Das ist nicht möglich«, stieß er hervor. »Gewiss …«
    »Gewiss bin ich inzwischen tot?«
    Einen Augenblick lang brachte Alejandro kein Wort heraus. Schließlich sagte er leise: »Ja.«
    Die Frau, die vor ihm stand, lachte, und gleichzeitig fingen die Vögel an zu singen, als stimmten sie in einen Chor mit ihrem Lachen ein. Zudem erhob sich ein leichter Wind. »Seid unbesorgt«, sagte sie. Sie zupfte an ihrem Kinn, als wolle sie ihm zeigen, dass sie aus Fleisch und Blut war. »Ich bin kein Gespenst, wenn es das ist, was Ihr befürchtet. Aber ich bin auch nicht die Frau, für die Ihr mich haltet; ich bin ihre Tochter.«
    Alejandro starrte sie an, als wolle er seinen Augen nicht trauen. »Aber - Ihr könntet ihre Zwillingsschwester sein! Diese Ähnlichkeit ist unheimlich.«
    »So sagt man, aber ich meide alle Spiegel, deshalb kann ich nicht sagen, ob es wahr ist.«
    »Es heißt, Hexen hätten kein Spiegelbild«, sagte Alejandro.
    Die Frau lachte wieder ihr melodisches Lachen. »Ich bin keine Hexe - zumindest verfüge ich nicht über mehr Zauberkräfte als Ihr, obwohl damals, nachdem Ihr diesen Ort verlassen hattet, das Gerücht ging, Ihr wäret der Leibhaftige höchstpersönlich.
Ich bin nur eine alte Frau, der nichts daran liegt, die Falten zu betrachten, die sich in ihr Gesicht gegraben haben.«
    Eine Weile musterten sie einander schweigend. Schließlich ergriff sie erneut das Wort. »Sie sagte mir, dass Ihr kommen würdet.«
    Mit »sie« konnte nur Mutter Sarah gemeint sein. »Das scheint eine reichlich kühne Vorhersage. Eure Mutter war eine Frau mit großen Fähigkeiten, aber ich wage zu behaupten, dass selbst sie nicht wissen konnte, was die Zukunft bringen würde.«
    »Ihr seid hier, oder etwa nicht?«
    »Nur weil es die verschlungenen Wege des Schicksals erfordern.«
    »Der Grund ist ohne Bedeutung. Ihr seid zu uns zurückgekommen, wie sie es vorhergesagt hat.«
    Sie drehte sich um, hob ihre Röcke ein wenig und stapfte auf die Kate zu. Nach ein paar Schritten wandte sie sich um und machte eine einladende Handbewegung. »Nun, so kommt. Ihr habt den weiten Weg nicht zum Vergnügen auf Euch genommen; wir wollen uns also Euren Angelegenheiten zuwenden.«
    Er stieg ab und band sein Pferd fest, dann trat er auf den mit Steinen gepflasterten Weg, der zur Kate führte. Mit jedem Schritt wurde ihm leichter zumute, als würde ihm eine Bürde nach der anderen von den Schultern genommen.
    Mein liebster Gefährte, 29. April -

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