Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
diesen Worten begann die Frau sich von ihm zu entfernen. Nach ein paar Sekunden schien sie sich aufzulösen, und dann war sie verschwunden.
Chaucer stand wie verzaubert, ohne sagen zu können, wie lange. Erst als ihn sein Pferd sacht anstupste, wich der Bann, unter dem er zu stehen meinte. Er griff nach den Zügeln und führte das Tier weiter, und bei jedem Schritt dankte er Gott für den festen Boden unter seinen Füßen.
Auf dem Tisch vor Alejandro lagen Pflaumen, Käse und hartes Brot. Sarah teilte das einfache Mahl mit ihm, und dazu tranken sie helles Bier, das sie selbst gebraut hatte. Es schmeckte bitter, aber das Gefühl, satt zu sein, war äußerst angenehm; bis Kate und er England hinter sich gelassen hatten, würden sie wenig Zeit finden, sich an einen Tisch zu setzen und zu essen.
Jetzt konnte er nichts weiter tun, als zu warten. Irgendwann in dieser Nacht würde sie kommen, wenn alles so geschah, wie es in dem verschlüsselten Gedicht angekündigt worden war.
»Dieser Tag wird so langsam vergehen, dass es mir wie eine halbe Ewigkeit vorkommt«, sagte er.
»Ihr müsst Eure Angst bekämpfen, Medicus«, sagte Sarah zu ihm. »Sonst werdet Ihr Euch verraten, wenn Ihr wieder da draußen unter den Engländern seid.«
»Ist mir meine Furcht so deutlich anzusehen?«
»Deutlich genug, jedenfalls für mich. Nun, wenn Ihr Euch ein wenig nützlich machen wollt, geht hinaus und bringt mir verschiedene Heilkräuter - Nachtschatten, Eisenhut, was immer Ihr findet und Euch von Nutzen scheint.« Sie deutete hinauf zu dem strohgedeckten Dach. »Hängt sie dort oben zum Trocknen auf. Ihr seid größer als ich, Euch bereitet es weniger Mühe.«
Sie reichte ihm einen geflochtenen Weidenkorb.
Er nahm ihn, machte jedoch keine Anstalten aufzustehen. Bei Tageslicht waren all die kleinen Dinge, die er in der Dämmerung nicht hatte sehen können, deutlich zu erkennen. Er ließ seinen Blick suchend durch die Kammer wandern, dann sagte er: »Ich möchte Euch nach etwas fragen, das ich zurückließ, als ich zum ersten Mal hier war.«
»Als meine Mutter noch lebte?«
»Ja. Ich weiß, es ist viele Jahre her, aber ich muss Euch dennoch fragen. Ich ließ mein Tagebuch hier, ein in Leder gebundenes Buch. Ich schrieb meine Beobachtungen darin nieder, hielt fest, wohin mich meine Reisen führten. Es war ein Geschenk meines Vaters und ist von großer Bedeutung für mich.«
»Man fragt sich, warum Ihr etwas so Wertvolles dann zurückließet.«
»Diese Frage stellte auch ich mir oft. Unser Aufbruch geschah in solcher Hast. Ich war nicht klar bei Verstand … Die Pest hatte mir jegliche Kraft und vernünftigen Gedanken geraubt.«
»Ihr wart klar genug bei Verstand, um Eure besudelte Kleidung zu vergraben.«
Er senkte beschämt den Blick, obwohl es dafür keinen Grund gab. »Das gab mir mein Herz ein, nicht mein Verstand. Ich wollte die Krankheit nicht weitertragen - gewiss hätte jemand die Kleidung gefunden und mitgenommen, da sie noch gut war.«
»Ah. Dann habt Ihr recht gehandelt. Aber ich muss Euch leider sagen, dass ich nichts von einem solchen Buch weiß.«
»Was könnte damit geschehen sein? Außer Euch und Eurer Mutter hat niemand je an diesem Ort hier gewohnt.«
»Wir verlassen ihn hin und wieder, wie Ihr wisst«, erwiderte sie. Ihr Blick schweifte zu dem roten Tuch, das an einem Haken neben der Tür hing. »Und außerdem war meine Mutter in ihren letzten Jahren nicht mehr … ganz bei sich. Sie tat Dinge, die unbesonnen schienen. Selbst ich begann sie für verrückt zu halten. Gott allein weiß, was sie mit einer solchen Kostbarkeit angestellt haben mag.«
Alejandro ließ enttäuscht die Schultern hängen. »Ich hatte gehofft, dass Ihr etwas darüber wisst.« Er nahm den Korb und klopfte damit leicht auf den Tisch. »Nun, dann werde ich mich jetzt den Heilkräutern widmen. Diese Aufgabe wird mich wohl beschäftigt halten, bis es an der Zeit ist.«
Sie nickte lächelnd. »Ja. Bis es an der Zeit ist.«
Er trat vor die Kate und war erstaunt, wie hoch die Sonne bereits stand - er hatte den Großteil des Vormittags verschlafen. Wie benommen schritt er durch den Garten, der das Haus umgab, und dachte darüber nach, was die kommende Nacht bringen mochte. Während er eine Möglichkeit nach der anderen erwog, kniete er von Zeit zu Zeit nieder und schnitt eine Handvoll Kräuter ab, wobei er mit Missfallen die leichte Steifheit zur Kenntnis nahm, die er in den Knien verspürte, wenn er sich wieder erhob. Schon bald war der
Weitere Kostenlose Bücher