Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
dem Moment hatte kreuzen lassen, als er keine Sekunde zu verschwenden hatte. Er eilte weiter, schneller, als er es eigentlich für ratsam hielt. Er hielt sich dicht an der Mauer und nutzte den Schutz ihres Schattens, aber die Fackeln leuchteten hell, und es waren ihrer beklagenswert viele; deshalb blieb Alejandro in gebückter Haltung und hastete durch die Dunkelheit auf die Hundert Stufen zu. Dort vor ihm lief Kate; das weiße Gewand bauschte sich, als sie der Freiheit entgegeneilte. An einer Biegung der Mauer verlor er sie kurz aus den Augen; als er sie wieder sah, hatte sie sich von der Mauer gelöst und rannte über den Hof auf die Stelle zu, an der die Hundert Stufen begannen.
Sie war schon über den halben Hof gelaufen, als eine Stimme »Halt!« rief. Aus der entgegengesetzten Richtung tauchte eine Gestalt auf und folgte Kate. Sie blieb nicht stehen, sondern rannte nur noch schneller. Alejandro schien es, als würde sie dabei an ihrem Gewand nesteln. Ihr Verfolger holte langsam auf; Alejandro beschleunigte im Schatten der Mauer seinen Schritt und eilte hinterher.
Erneut ertönte die Stimme. »Catherine Plantagenet!«
Er sah, wie seine Tochter mitten in der Bewegung innehielt und sich dann langsam umdrehte.
Ein weiteres Mal drang die Stimme an sein Ohr. »Wohin will meine zukünftige Braut? Ich dachte, wir kämen vorzüglich miteinander aus.«
In diesem Moment drehte Kate sich wieder um und lief weiter
auf den Eingang zu den Hundert Stufen zu. Ihr Verfolger machte einen Satz und bekam den Saum ihres weißen Umhangs zu fassen, sie wurde nach hinten gerissen und taumelte gegen ihn.
»Nein!«, schrie sie. Sie wandte sich um und schlug mit den Fäusten auf ihn ein. »Ihr werdet nie mehr Hand an mich legen!«
Alejandro sah, wie sie sich nach unten beugte und nach etwas an ihrem Knöchel griff, und dann begann sie auch schon auf Benoît einzustechen. Er sah, dass dieser sich kurz an den Arm griff. Gleich darauf vernahm er das kratzende Geräusch eines Schwerts, das aus der Scheide gezogen wurde.
Er riss sich den Teufelsumhang von den Schultern, stürzte vorwärts und warf Benoît das schwere Kleidungsstück von hinten über den Kopf. Es hüllte ihn ein wie ein Leichentuch. Benoît versuchte sich davon zu befreien, hatte sich jedoch binnen Kurzem hoffnungslos in den vielen Falten verheddert. Sich windend und um sich tretend stürzte er zu Boden. Alejandro beugte sich über ihn und spuckte ihn an.
Dann drehte er sich um und rannte auf die Hundert Stufen zu; als er den Eingang erreichte, war Kate bereits auf dem Weg nach unten. Auf seinem Weg in der Dunkelheit nach unten zählte er die Stufen, konzentrierte sich gleichzeitig jedoch so auf seine Schritte, um nicht zu straucheln, dass er mit dem Zählen schon bald durcheinanderkam. Als er endlich wieder festen Boden unter den Füßen spürte, schien eine halbe Ewigkeit vergangen zu sein.
Er lief nach rechts, wie Kate ihn angewiesen hatte, und wurde von neuer Angst befallen, als er sie nirgends entdecken konnte. Die niedrige Stelle der Mauer befand sich genau dort, wo sie sie beschrieben hatte, und er schwang ein Bein über die rauen Steine und setzte sich auf die Mauerkrone. Unter ihm sah er den weißen Umhang liegen, den sie zurückgelassen hatte; er zeigte ihm, wohin er springen musste.
Zweimal meine Körperlänge! Wenn man es hörte, klang
es leichter, als es jetzt aussah. Dennoch stieß Alejandro sich ab und sprang; es dauerte schier endlos, bis er auf dem harten Grund auftraf. Er taumelte nach vorn und schlug einen Purzelbaum. Irgendwie schaffte er es, sich aufzurappeln, und dann rannte er weiter in die Nacht hinein und hoffte dabei, dass Gott ihm nicht irgendwelche Bäume in den Weg gestellt hatte, denn die hätte er kaum rechtzeitig sehen können. Er hatte sich kaum zehn Schritte von der Stelle, an der er gelandet war, entfernt, als von oben Lärm an sein Ohr drang, der immer lauter wurde. Schließlich drehte er sich um und blickte zurück. Noch sah er keine Soldaten, aber er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie da wären. Er stürzte weiter durch die Dunkelheit, und wenig später rannte er den Hügel hinauf auf den Apfelbaum zu; in der Finsternis konnte er neben dem Stamm des Baumes Kates schemenhafte Gestalt erkennen.
Sie umfingen einander in einer kurzen Umarmung, und dann nahm Alejandro Kate bei der Hand. »Folge mir«, sagte er. »Es ist nicht weit bis zu dem Pferd.«
Keuchend rannten sie weiter, bis sie bei dem Tier angelangt
Weitere Kostenlose Bücher