Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
zu einer kleinen Kammer im hinteren Teil des Hauses.
De Chauliac musste sich bücken, als er durch die Tür trat. In dem Bett vor ihm lag ein sehr alter Mann, gestützt von einem Kissen.
»Mein Sohn spricht von Euch, als wäret Ihr Gott höchstpersönlich«, sagte Avram Canches. »Seid Ihr gekommen, um eine traurige Botschaft zu überbringen?«
»Ich habe keine Botschaft, sonst hätte ich bereits dafür gesorgt, dass man sie Euch überbringt«, erwiderte de Chauliac. »Aber ich versprach Eurem Sohn, mich um die zu kümmern, die ihm nahestehen. Ich bin gekommen, um Euch mit nach Paris zu nehmen. Wenn Alejandro zurückkehrt, werdet Ihr wieder vereint sein. Wenn er nicht zurückkehrt, werde ich dafür Sorge tragen, dass es Euch an nichts fehlt.«
Avram dachte eine Weile schweigend über de Chauliacs Angebot nach. »Sagt mir«, erwiderte er schließlich, »gibt es in Paris jemanden wie Rachel? Nur ihrer Fürsorge ist es zu verdanken, dass ich noch am Leben bin, um jetzt Euer großzügiges Angebot anzuhören. Vielleicht solltet Ihr es auf sie ausdehnen und Euch somit die Mühe sparen, drei Leute zu suchen, die das tun, was sie allein mit Leichtigkeit bewältigt.«
»Sosehr ich es bedaure - ich kann Eurer Bitte nicht entsprechen.« De Chauliac warf einen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob Rachel in Hörweite war. »Es gibt gute Gründe, die dem entgegenstehen.«
Avram sah den Franzosen lange an; die Erkenntnis, dass die erhoffte Heirat zwischen seinem Sohn und Rachel nicht zustande kommen würde, betrübte ihn zutiefst. Aber dies war gewiss die letzte Gelegenheit für ihn, Alejandro wiederzusehen.
»Das sagt Ihr ihr wohl am besten selbst.«
De Chauliac tat es. Unter Tränen wies Rachel die Goldstücke zurück, die er ihr anbot, und auch von Avram wollte sie nichts annehmen. De Chauliac war sicher, noch niemals einen traurigeren Ausdruck auf dem Gesicht einer Frau gesehen zu haben als den von Rachel, als die jungen Soldaten Avram Canches in den strohgepolsterten Karren betteten, den sie eigens für ihn mitgebracht hatten. Ihr Schultertuch fest um sich geschlungen, stand sie in der Tür und sah schweigend zu, wie Avram Canches die letzte Reise seines Lebens antrat, nach Paris.
Alejandro breitete die kostbare Karte auf dem Boden aus.
»Ein wahres Wunder«, sagte Kate. »So als wären wir Engel, die über der Erde schweben und auf sie hinunterblicken.«
»In Anbetracht dieses kostbaren Besitzes glaube ich eher, dass die Engel über uns schweben. Und einer von ihnen heißt gewiss de Chauliac.« Er deutete auf die Gegend der Peaks. »Wir befinden uns wohl hier.«
»Oh, Père«, rief Kate mit bekümmerter Miene, »dann sind wir ja viel weiter im Norden, als ich dachte!«
»Ja, zu weit im Norden. Aber von hier aus können wir nach Süden reiten, und das müssen wir auch rasch tun. Falls Sir John uns erneut verfolgt, wird er das nicht allein tun, und er wird uns dieses Mal nicht so gnädig gesinnt sein.« Er fuhr mit dem Finger über die Karte, mitten durch England bis kurz vor die Insel Wight. »Aus dem Hafen von Southampton laufen Schiffe
in die Normandie und die Bretagne aus. Von dort können wir nach Paris reiten.«
»Aber es wird lange dauern, bis wir dort sind!« Sie maß die Entfernung auf der Karte mit ihren Fingern und rechnete schweigend die benötigte Zeit aus. Schließlich stieß sie einen langen, sorgenvollen Seufzer aus. Alejandro wusste, dass sie an ihren Sohn dachte, daran, wie lange es noch dauern würde, bis sie ihn schließlich mit eigenen Augen sehen würde.
Er faltete die Karte wieder zusammen und steckte sie in seinen Reisesack. »Wenn wir uns nach Südosten in Richtung Dover wenden, wird dein Sohn wohl weder seine Mutter noch seinen Großvater jemals wiedersehen. Er hat sieben Jahre auf dich gewartet; ein wenig länger wird ihm nicht schaden.«
Kurz bevor sie Coventry erreichten, begann das Pferd zu lahmen. Das Tier hatte Alejandro den ganzen langen Weg von Avignon bis hierher getragen und reagierte auf die kleinste Bewegung von ihm, aber es hatte unter dem Gewicht zweier Reiter gelitten, und es war an der Zeit, ihm ein wenig Ruhe zu gönnen. In einer kleinen Stadt am nördlichen Rand der Salisbury Plain, wo sie mit guten Pferden rasch vorankommen würden, stießen sie auf einen Müller, dessen etwas zurückgebliebener Sohn eines sanftmütigen Pferdes bedurfte. Der Mann hatte einen ganzen Stall voller Pferde, da er Vergnügen daran fand, sie zu züchten, um zu sehen, welche Art
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