Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
sie Kate den Befehl so kurzfristig überbringen musste. »Verzeiht, Mylady«, sagte sie in entschuldigendem Ton. »Ich weiß es nicht. Wenn Ihr Euch bitte beeilen wollt; Eure Schwester wartet auf Euch.«
»Wo sind die Wachen?«
»Vor der Tür, wie immer«, erwiderte das Mädchen.
Kate ging zum Waschtisch, wo ein Krug mit frischem Wasser bereitstand. Das Mädchen trat neben sie und reichte Kate ein Tuch, nachdem diese sich den Schlaf aus den Augen gewaschen hatte. Sie trocknete ihr Gesicht, dann ging sie zum Fenster und sah hinaus.
Unten im Hof warteten im Morgennebel die Stallknechte mit den Pferden, die in Erwartung des Ausritts ungeduldig hin und her tänzelten. Auch die Wachen hatten bereits Aufstellung genommen, mit dem Horn unter dem Arm und den aufgeregt an ihren Leinen zerrenden Hunden. Der Reiter, der den Trupp anführen würde, hielt ein großes Banner mit dem Wappen des Schwarzen Prinzen in die Höhe. Kate konnte nicht verhindern, dass sie ein Schauer überlief.
Ihr Mut sank, als sie die vielen Wachen erblickte. Eine Flucht war ausgeschlossen. Mit einem resignierten Seufzer nahm sie ein einfaches Kleid aus der Truhe, eines mit einem weiten Rock, obwohl sie lieber in Beinkleidern ritt - eine Gewohnheit, die sie auf ihren Reisen mit Alejandro entwickelt hatte. Sie erinnerte sich an die zornigen Worte Isabellas, als sie das erste Mal den Wunsch danach geäußert hatte:
Wir gestatten nicht, dass in Unserer Gegenwart eine Frau solche Beinkleider trägt.
Das Mädchen half Kate beim Schließen der Knöpfe und Bänder und reichte ihr dann eine Bürste. Sie fuhr sich damit ein paarmal durch die Haare - etwas, wozu ihre verwöhnte Schwester nicht fähig zu sein schien - und band sie mit einer schwarzen Lederschnur zusammen, und das alles, ohne auch nur einen Blick in den Spiegel zu werfen.
»Ihr werdet das hier brauchen, Mylady«, sagte das Mädchen, als Kate an ihr vorbeiging. »Es ist ungewöhnlich kühl.«
Kate bemerkte den mitfühlenden Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens; sie sah ihn oft bei denen, die ihr aufwarteten. Sie nahm den Umhang, den ihr das Mädchen entgegenhielt,
und bedankte sich. Im Wohngemach der Prinzessin hatte sich bereits eine schnatternde Schar Frauen versammelt. In ihrer Mitte, umgeben von ihren Bewunderern - wie hätte es auch anders sein können? - stand Isabella, angetan mit einem prächtigen bestickten Reitumhang, der Gegenstand zahlreicher Komplimente war.
»Ah«, sagte Isabella. Sie musterte ihre jüngere Schwester von oben bis unten. »Meine geliebte Schwester. Wie wir sehen, hast du wie stets große Sorgfalt auf dein Aussehen verwandt.«
Statt einer Antwort bedachte Kate sie mit einem eisigen Blick.
Isabella gab ein verächtliches, meckerndes Lachen von sich. »Wir wollen uns jetzt zu den anderen begeben«, sagte sie. »Du weißt, dass die Herren es verabscheuen, wenn man sie warten lässt.«
Sollte es wahr sein, was Chaucer ihr erzählt hatte, dann war es gut möglich, dass de Coucy sich unter ihnen befand. Ihre Wächter folgten ihr, als sie die Treppe in den Hof hinunterstieg. Sie verbannte alle ihre Gefühle in ihr tiefstes Inneres, denn heute würde sie die Begegnung mit dem Mann, der höchstwahrscheinlich Guillaume Karle getötet hatte, über sich ergehen lassen müssen. Es wäre das erste Mal seit jenem verhängnisvollen Tag vor acht Jahren, an dem er ihren Gatten enthauptet zu ihr zurückgeschickt hatte, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden.
Voller Hass sah sie dabei zu, wie de Coucy ihrer Schwester die Hand küsste.
Sie wandte sich von ihnen ab und dachte: Diese Ehe wird in der Hölle geschlossen. Sie stellte sich so, dass sie de Coucy nicht begrüßen musste. Andernfalls hätte sie ihm mit den Nägeln die Haut vom Gesicht gerissen, und dann hätte ihr Sohn auch noch die Mutter verloren.
Ihr Blick blieb an einem klein gewachsenen, stämmigen Mann zu Pferd hängen, der sich der Jagdgesellschaft angeschlossen hatte, an der morgendlichen Begrüßung jedoch nicht
teilzunehmen schien. Stattdessen starrte er sie aufdringlich an. Wann immer Kate in die Richtung des Mannes sah, begegnete sie seinem Blick. Einmal lächelte er sogar und zeigte dabei zwei Reihen schwärzlicher Zähne.
Als er den Kopf neigte und ihr eine Kusshand zuwarf, beschlich Kate ein schrecklicher Verdacht - dieser Mann musste Benoît sein, ihr zukünftiger Gatte.
Sie drehte den Kopf zur Seite und spuckte aus, wobei sie sich bemühte, ein möglichst lautes Geräusch zu
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