Alejandro Canches 03 - Der Fluch des Medicus
»Wo ist Kristina?«, fragte er.
»Im Labor«, antwortete Janie. »Sie hat ein paar Projekte am Laufen, die sie überwachen muss.«
Es war eine willkommene Entschuldigung für sie, um nicht mit den anderen warten zu müssen. Er wusste, dass seine Tochter emotional schwierigen Situationen immer aus dem Weg ging; sie brachten sie durcheinander und regten sie auf. Die Sorge wegen Michaels verspäteter Rückkehr drückte auf die Stimmung und zeichnete sich auf den Gesichtern aller ab. Das Gespräch zwischen Janie und Caroline war sicher nicht vergnüglich gewesen.
Nach einer Stippvisite bei seiner Tochter kehrte Tom in den Gemeinschaftsraum zurück und setzte sich neben Caroline. Er legte seine Hand sanft auf ihren Unterarm. »Wahrscheinlich ist es noch zu früh, sich Sorgen zu machen.«
»Du hast leicht reden«, sagte sie und schniefte.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich will dir ja auch gar nicht das Recht auf deine Gefühle absprechen. Aber du solltest dich nicht verrückt machen, dazu zumindest besteht jetzt noch kein Anlass.«
»Gott«, sagte sie und zog ihre Strickjacke enger um sich. »Wenn wir wenigstens ein Funkgerät oder etwas in der Art hätten …«
»Ja, das würde es leichter machen, ich weiß.«
Ein paar Minuten lang saßen sie alle still da, jeder in Gedanken versunken, wie sie mit einer Änderung in ihrer Ordnung
zurechtkämen, wenn es denn dazu kommen sollte. Nicht lange, und Caroline ging zu Bett, und die anderen taten es ihr bald nach. Janie und Tom fanden sich schließlich allein im Raum.
Janie warf einen Blick auf Carolines geschlossene Schlafzimmertür, bevor sie sagte: »So. Und was nun?«
»Ich weiß es nicht. Langsam fange ich an zu glauben, dass wir Michael vielleicht besser nicht hinausgeschickt hätten.«
»Er ging aus gutem Grund. Wir müssen mehr über dieses Bakterium wissen. Und dazu gibt es keinen anderen Weg.«
Einen Moment lang schwiegen sie, dann meinte Tom: »Selbst wenn er ein bisschen weiter als geplant geritten ist - und ich weiß nicht, warum er das hätte tun sollen -, müsste er morgen Mittag wieder hier sein, wenn er in der Morgendämmerung aufbricht. Die am weitesten entfernt liegende Fundstelle ist immer noch nah genug, selbst wenn er gezwungen sein sollte, zu Fuß zu gehen.«
Janie dachte einen Moment darüber nach. »Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, ihn zu suchen, dann sollte ich das tun.«
Ihr Mann sah sie entsetzt an. »Kommt gar nicht in Frage. Ich werde gehen. Oder einer der anderen Männer.«
»Und wenn dir etwas passiert und du kommst nicht zurück, was sollen wir dann tun? Dann würden uns zwei Männer fehlen. Und falls Michael verletzt ist, bin ich diejenige, die ihn am besten versorgen kann.«
»Du gehst nicht. Vergiss es. Du hast nicht einmal einen Schutzanzug - was ist mit der Kontamination? Deshalb ist er doch überhaupt raus, erinnerst du dich? Die Gegend ist verseucht.«
»Aber ihr habt doch auch alle keinen Schutzanzug! Wenn er die Fundstellen erreicht hätte, dann hätte er sich bestimmt gleich wieder auf den Rückweg gemacht. Was ihm auch passiert sein mag, ist ihm wahrscheinlich auf dem Weg dorthin passiert.« So, als könnte sie ihn damit umstimmen, fügte sie hinzu: »Ich werde eine Gesichtsmaske tragen.«
Tom sagte nichts, sondern saß nur einem Moment lang mit finsterer, unglücklicher Miene am Tisch. Dann erhob er sich und sprach ganz ruhig, ohne seine Gereiztheit spürbar werden zu lassen, die sich in der Stimme eines weniger beherrschten Mannes zweifellos bemerkbar gemacht hätte. Er schlüpfte wieder einmal in die Rolle des Vermittlers: »Wir sollten den Ereignissen nicht zu weit vorgreifen. Es kann einen völlig banalen Grund geben, weshalb er noch nicht zurück ist. Unseres Wissens kann er genauso gut über irgendetwas Interessantes gestolpert sein, das unser Leben grundlegend verändern wird, und das schleift er vielleicht gerade unter Ächzen und Stöhnen hierher.«
9
Allmählich senkte sich die Nacht über de Chauliacs Reisegesellschaft. Einer der Soldaten war tot, von einem Pfeil ins Herz getroffen, und der andere lag schwer verletzt auf einer hastig zusammengezimmerten Trage, nachdem man den Schaft des Pfeils etwa einen Fingerbreit über der Wunde abgeschnitten hatte. Digoin war noch eine gute Stunde entfernt. Wie gern hätte Alejandro einen Moment unter vier Augen mit de Chauliac gesprochen, aber es wollte sich einfach keine Gelegenheit ergeben. Genauso wenig war es ihm seit der schicksalhaften Stunde des Überfalls
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