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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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mich von all dem Hass erlöst, den ich empfinde. Als ich dann deine Bücher las, habe ich begriffen, dass du dieser Mensch bist. Kein Zweifel.«
    »Kein Zweifel.«
    »Ich habe versucht, Tatiana zu helfen. Ich habe ihr erzählt, dass ich schon als junges Mädchen alle Männer, die sich mir näherten, dafür büßen ließ, dass einer von ihnen mich missbraucht und dadurch beinahe mein Leben zerstört hat. Aber sie glaubt mir nicht, für sie bin ich nichts als ein Kind. Außerdem wollte sie mich nur treffen, um so leichter an dich ranzukommen.«
    Hilal rückt noch ein bisschen näher. Ich spüre die Wärme ihres Körpers.
    »Sie hat gefragt, ob sie uns an den Baikalsee begleiten darf. Sie sei noch nie mit der Transsib gefahren, weil sie keinen Grund dazu hatte. Jetzt habe sie einen.«
    Wie ich mir schon gedacht habe, spüre ich jetzt, da wir zusammen auf dem Bett liegen, nichts als Zärtlichkeit für die junge Frau neben mir. Ich lösche das Licht, und an den Wänden flackert der Widerschein der Schweißbrenner von der Baustelle gegenüber.
    »Ich habe ihr erklärt, dass es gar keinen Sinn habe, weil die Sicherheitskontrollen Tatiana nie und nimmer bis zu deinem Waggon vorlassen würden. Auch das hat sie mir nicht geglaubt; sie dachte, ich wolle sie nur davon abhalten.«
    »Die Menschen hier arbeiten die ganze Nacht lang«, sage ich.
    »Hörst du mir eigentlich zu?«
    »Ich höre dir zu, aber ich verstehe dich nicht. Jemand anders sucht mich unter den gleichen Umständen auf wie du. Doch anstatt dieser Person zu helfen, schickst du sie fort.«
    »Weil ich Angst habe. Angst, dass sie sich zwischen uns drängt und du das Interesse an mir verlierst. Ich weiß nicht genau, wer ich für dich bin und was ich hier tue, und alles dies kann von einem Augenblick auf den anderen verschwinden.«
    Mit der linken Hand taste ich nach der Packung Zigaretten auf dem Nachttisch, zünde mir und ihr eine an, stelle den Aschenbecher auf meine Brust.
    »Begehrst du mich?«, fragt sie.
    Am liebsten würde ich antworten: >Ja, ich begehre dich, wenn du nicht in meiner Nähe, wenn du nur eine Phantasie in meinem Kopf bist. Heute habe ich fast eine Stunde in einem Aikido-Dojo verbracht und dabei die ganze Zeit an dich gedacht, an deinen Körper, deine Beine, deine Brüste, und das Training hat nur einen Bruchteil dieses Verlangens aufgebraucht. Ich liebe und begehre meine Frau, und dennoch begehre ich dich ebenfalls. Ich bin sicher nicht der Einzige, der so für dich fühlt, ich bin ganz sicher auch nicht der einzige verheiratete Mann, der eine andere Frau begehrt. Wir alle gehen in Gedanken fremd, bitten um Vergebung und tun es wieder. Dass ich dich einfach nur im Arm halte und deinen Körper nicht berühre, hat jedoch nichts mit solchen Skrupeln zu tun. Diese Art von Schuldgefühlen kenne ich nicht. Aber es gibt im Moment etwas, das unendlich viel wichtiger ist, als mit dir zu schlafen. Aus diesem Grunde kann ich friedlich neben dir liegen und die Funken auf der Baustelle gegenüber beobachten.<
    Stattdessen sage ich: »Selbstverständlich begehre ich dich. Sehr sogar. Ich bin ein Mann, und du bist eine sehr attraktive Frau. Außerdem empfinde ich eine große Zärtlichkeit für dich, die täglich größer wird. Ich bewundere, wie du mit Leichtigkeit vom Mädchen zur Frau und von der Frau wieder zum Mädchen wirst. Das ist, als würde dein Bogen über die Saiten deiner Geige streichen und eine göttliche Melodie spielen.«
    Die Glut unserer Zigaretten leuchtet auf, als wir jeder einen Zug nehmen.
    »Und warum fasst du mich nicht an?«
    Ich drücke meine Zigarette aus und sie ihre. Ich streichle weiter ihr Haar und versuche, mich der Vergangenheit zu stellen.
    »Ich muss etwas tun, was für uns beide sehr wichtig ist. Erinnerst du dich an das Aleph? Ich muss durch die Tür gehen, die uns beide so erschreckt hat.«
    »Und was soll ich machen?«
    »Nichts. Bleib einfach bei mir.«
    Ich stelle mir einen Ring aus goldenem Licht vor, der meinen Körper hinauf- und hinunterwandert. Er beginnt bei den Füßen, wandert bis zum Kopf und wieder zurück zu den Füßen. Anfangs fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren, aber ganz allmählich wird der Ring immer schneller.
    »Darf ich etwas sagen?«
    Natürlich darf sie das, der Ring aus Feuer ist nicht von dieser Welt.
    »Es gibt nichts Schlimmeres, als abgewiesen zu werden. Da begegnet mein eigenes Licht dem Licht einer anderen Seele, und ich denke schon, dass sich jetzt endlich die Fenster öffnen

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