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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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können, aber ich lasse ihn weiterreden. Er ist ein kluger Mann mit viel Lebenserfahrung, von Schmerz gezeichnet, doch nicht gebrochen, obwohl er in seinem jetzigen Leben viele Male die Welten wechseln musste. Ihm kann ich nichts vormachen. Ich bitte ihn weiterzureden.
    »Sie haben nicht gegen mich gekämpft«, sagt er. »Sie haben gegen Hilal gekämpft.«
    »Richtig.«
    »Dann lassen Sie uns trainieren, sooft es uns die Reise erlaubt. Übrigens möchte ich Ihnen für die Worte im Zug danken, als Sie Leben und Tod mit dem Wechsel von einem Waggon in den nächsten verglichen und erklärt haben, dass wir das in unseren Leben immer wieder tun. Seit ich meine Frau verloren habe, konnte ich letzte Nacht zum ersten Mal ruhig schlafen. Ich bin ihr im Traum begegnet und sah, dass sie glücklich war.«
    »Diese Worte waren genauso auch für mich bestimmt«, entgegne ich.
    Ich bedanke mich bei ihm dafür, dass er ein loyaler Gegner war, der mich keinen Kampf gewinnen ließ, den zu gewinnen ich nicht verdiente.

Ring aus Licht
     
    Z uerst musst du eine Strategie entwickeln, die sich alles zunutze macht, was dir zur Verfügung steht. Einer Herausforderung begegnet man am besten, indem man sich einen unerschöpflichen Vorrat an Reaktionsmöglichkeiten zulegt.
    Ich bin im Hotel. Endlich habe ich wieder Zugang zum Internet. Ich will mir in Erinnerung rufen, was ich über den Weg des Friedens gelernt habe.
     
    Die Suche nach Frieden ist eine Art Gebet, das Licht und Wärme erzeugt. Denk für eine Weile nicht an dich selbst, und lerne zu verstehen, dass in diesem Licht Weisheit und in der Wärme Mitgefühl liegt. Während du auf diesem Planeten verweilst, versuche die wahre Form des Himmels und der Erde zu erkennen. Wenn du dich nicht von der Angst lähmen lässt und all dein Handeln mit dem übereinstimmt, was du denkst, wird es dir gelingen.
     
    Jemand klopft an die Tür. Ich bin so konzentriert, dass ich das Geräusch zuerst gar nicht einordnen kann. Aus einem Impuls heraus beschließe ich, nicht zu reagieren, doch was, wenn es etwas Dringendes ist - warum sonst sollte jemand um diese Zeit klopfen?
    Während ich zur Tür gehe, wird mir klar, dass es nur eine Person gibt, die das fertigbringt.
    Hilal steht in einem roten T-Shirt und Pyjamahosen vor der Tür. Ohne ein Wort geht sie an mir vorbei und legt sich auf mein Bett.
    Ich lege mich neben sie. Sie rückt an mich heran, und ich nehme sie in den Arm. »Wo warst du?«, fragt sie.
    >Wo warst du?< Die Frage impliziert immer auch >du hast mir gefehlt<, >ich wäre gern bei dir gewesen<, >ich muss wissen, was du gemacht hast<.
    Ich antworte nicht, streichle nur ihr Haar.
    »Ich habe Tatiana angerufen, und wir haben den Nachmittag zusammen verbracht«, erzählt sie, obwohl ich sie nicht danach gefragt habe. »Sie ist eine traurige Frau, und ihre Traurigkeit ist ansteckend. Heute hat sie mir erzählt, dass sie eine Zwillingsschwester hat, die drogensüchtig ist und der es nicht gelingt, eine Arbeit zu behalten oder eine Beziehung zu führen. Doch das ist nicht der Grund für Tatianas Traurigkeit, sondern paradoxerweise ihr Erfolg. Die Tatsache, dass sie attraktiv ist und von den Männern begehrt wird, eine Arbeit hat, die sie ausfüllt. Sie wurde kürzlich geschieden und ist doch schon wieder einem Mann begegnet, der sich unsterblich in sie verliebt hat. Ihr Problem sind die schrecklichen Schuldgefühle ihrer Schwester gegenüber. Zum einen, weil sie nichts tun kann, um ihr zu helfen. Und andererseits macht ihr Erfolg das Scheitern der Schwester umso bitterer. Mit anderen Worten: Wir sind niemals glücklich, egal wie viel Grund wir auch dazu hätten. Tatiana ist nicht der einzige Mensch, dem es so ergeht.«
    Ich streiche Hilal weiter übers Haar.
    »Erinnerst du dich an das, was ich in der brasilianischen Botschaft in Moskau erzählt habe? Alle sind davon überzeugt, dass ich außergewöhnlich begabt bin, dass ich eine große Geigerin bin, die eine beeindruckende Karriere vor sich hat. Auch meine Lehrerin ist dieser Meinung, sie ist nur besorgt, weil ich so >unsicher< und >instabil< sei. Dabei stimmt das gar nicht. Ich beherrsche die Technik, weiß, woher ich Inspiration bekommen kann, aber es ist nicht das, wozu ich geboren bin, und niemand wird mich vom Gegenteil überzeugen. Mit Hilfe der Geige kann ich der Wirklichkeit entfliehen, sie ist mein Feuerwagen, der mich weit weg von mir selbst bringt, ihr verdanke ich mein Leben. Ich wollte überleben, um einen Menschen zu finden, der

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