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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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durchaus auch an die Liebe«, entgegne ich.
    Ich streichle noch immer ihr Haar. Ihr Herzschlag wird langsamer. Ich stelle mir vor, dass ihre Augen geschlossen sind, dass sie sich geliebt und geborgen fühlt und ihre Angst vor Zurückweisung so schnell wieder verfliegt, wie sie gekommen ist.
    Auch ihr Atem wird tiefer. Sie bewegt sich, doch nur, um eine bequemere Position zu finden. Ich nehme den Aschenbecher von meiner Brust, stelle ihn wieder auf den Nachttisch und lege beide Arme um Hilal.
    Der Ring aus goldenem Licht bewegt sich jetzt rasend schnell, von meinen Füßen hinauf zum Kopf und vom Kopf zu den Füßen. Und plötzlich spüre ich ein Vibrieren in der Luft wie von einer Explosion.

Meine Brille ist beschlagen. Meine Fingernägel schmutzig. Das Kerzenlicht ist so schwach, dass ich fast nichts sehe außer dem Ärmel meines Gewandes; es ist aus grobem Stoff und schlecht genäht.
    Vor mir liegt ein Brief. Immer derselbe Brief.
     
    Cordoba, den 11. Juli 1492
     
    Mein Lieber,
    uns bleiben nur noch wenige Waffen. Eine davon ist die Inquisition, die immer wieder Ziel erbitterter Angriffe gewesen ist. Die Scheinheiligkeit der einen und die Vorurteile der anderen machen den Inquisitor zu einem Ungeheuer. In diesem schwierigen, heiklen Augenblick, wo die sogenannte Reformation die Rebellion in den Häusern und auf den Straßen schürt, indem sie dieses Gericht Christi in den Dreck zieht und es der Folter und anderer Ungeheuerlichkeiten bezichtigt, sind wir immer noch die Autorität! Und diese Autorität hat die Pflicht, diejenigen, die der Allgemeinheit schaden, mit der höchsten Strafe zu belegen, dem Körper des Kranken das Glied zu amputieren, das ihn vergiftet, um so zu verhindern, dass andere ihrem Beispiel folgen. Es ist daher nur gerecht, dass die Todesstrafe über jene verhängt wird, die, indem sie beharrlich Gotteslästerungen verbreiten, viele Seelen dem Feuer der Hölle überantworten.
    Diese Frauen glauben, dass sie nach Gutdünken das Gift ihres sündhaften Lebenswandels verbreiten und der Wollust und der Anbetung des Teufels frönen können. Hexen sind sie! Sie spirituell zu bestrafen ist oftmals nicht genug, weil die meisten Menschen außerstande sind, das überhaupt zu verstehen. Die Kirche muss das Recht haben - und sie hat es -, bloßzustellen, was falsch ist, und von den Autoritäten radikales Durchgreifen zu verlangen.
    Diese Frauen haben den Ehemann der Ehefrau entfremdet, den Bruder der Schwester, den Vater den Kindern. Zweifellos ist die Kirche eine barmherzige Mutter und immer zur Vergebung bereit. Unsere einzige Sorge besteht darin zu erreichen, dass diese Sünderinnen bereuen, damit wir ihre geläuterte Seele dem Schöpfer überantworten können. Und wir sollten, mit göttlichem Geschick, in dem das beseelte Wort Christi erkennbar ist, ihre Strafen gradweise verschärfen, bis diese Hexen gestehen, welche Rituale, Machenschaften, Zaubereien sie angewandt haben, um unsere Stadt in Aufruhr und Gesetzlosigkeit zu stürzen.
    In diesem Jahr ist es uns bereits gelungen, die Anhänger Mohammeds, die schon beinahe ganz Europa beherrschten, auf die andere Seite des Meeres nach Afrika zurückzudrängen, weil uns der siegreiche Arm Christi geführt hat. Der Glaube hat uns geholfen, jede Schlacht zu gewinnen. Die Juden sind ebenfalls geflohen, und diejenigen, die geblieben sind, werden mit Feuer und Eisen bekehrt werden.
    Schlimmer noch als die Juden und die Araber war der Verrat derer, die vorgaben, an Christus zu glauben und uns den Dolch in den Rücken stießen. Aber auch sie wird die gerechte Strafe ereilen, wenn sie es am wenigsten erwarten - es ist nur eine Frage der Zeit.
    Es gilt nun, mit aller Macht diese Wölfe im Schafspelz zu bekämpfen, die heimlich und heimtückisch in unsere Herde eingedrungen sind. Dies ist Deine Gelegenheit, allen zu zeigen, dass das Böse niemals unentdeckt bleibt. Wenn diese Frauen Erfolg haben, wird es sich herumsprechen und das schlechte Beispiel Schule machen, der Wind der Sünde zu einem Orkan anschwellen. Die Anhänger Mohammeds werden zurückkehren, die Juden werden sich erneut zusammenrotten, und der fünfzehnhundert Jahre lange Kampf um den Frieden Christi wird umsonst gewesen sein.
    Es wurde behauptet, dass die Folter vom Gericht der Inquisition eingeführt wurde. Nichts ist falscher als das! Ganz im Gegenteil: Als das römische Recht die Folter zuließ, hat die Kirche dies zunächst abgelehnt. Und heute übernehmen wir sie nur notgedrungen, doch ihre

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