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Aleph

Aleph

Titel: Aleph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Wänden, den Säulen, in den Gesichtern der Menschen, die zur Frühmesse hereinkommen, in den Flammen der brennenden Kerzen. Sie schließt die Augen. Vielleicht hört sie im Geiste tatsächlich ein Musikstück.
    »Du wirst es nicht glauben. Mir ist so, als würde ich ein Mädchen sehen… ein Mädchen, das nicht mehr hier ist, aber gern zurückkehren würde…«
    Ich bitte sie zuzuhören, was das Mädchen zu sagen hat.
    »Das Mädchen vergibt dir. Nicht, weil es zu einer Heiligen geworden wäre, sondern, weil es den Hass, den es in sich hat, nicht länger erträgt. Hassen kostet Kraft. Ich weiß nicht, ob sich im Himmel oder auf Erden etwas verändert hat, ob meine Seele gerettet werden wird oder verdammt, aber auch ich bin erschöpft und begreife es erst jetzt. Ich vergebe dem Mann, der mich im Alter von zehn Jahren fast zerstört hätte. Er wusste, was er tat, ich wusste es nicht. Aber ich dachte, es sei meine Schuld, ich hasste ihn und mich selbst, ich hasste alle, die sich mir nähern wollten, doch jetzt befreit sich meine Seele.«
    Nein, das war nicht, worauf ich gewartet hatte.
    »Vergib alles und allen, aber vergib mir auch«, bitte ich sie. »Schließe mich in deine Vergebung mit ein.«
    »Ich vergebe alles und allen, auch dir, obwohl ich nicht weiß, welches Verbrechen du begangen hast. Ich vergebe dir, weil ich dich liebe und weil du mich nicht liebst. Ich vergebe dir, weil du mir hilfst, mich meinem Dämon zu stellen, obwohl ich seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht habe. Ich vergebe dir, weil du mich zurückweist und mich meine Kräfte verlassen. Ich vergebe dir, weil du nicht begreifst, wer ich bin und was ich hier tue. Ich vergebe dir und dem Dämon, der meinen Körper berührt hat, als ich noch nicht einmal wusste, was leben überhaupt ist. Er berührte meinen Körper und entstellte meine Seele.«
    Sie faltet die Hände zum Gebet. Ich hätte mir gewünscht, dass Hilal nur mir vergibt, aber Hilal vergibt ihrer ganzen Welt. Und vielleicht ist es auch besser so.
    Sie zittert am ganzen Körper, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
    »Muss es ausgerechnet hier sein? Muss es in einer Kirche sein? Lass uns hinaus unter freien Himmel gehen. Bitte!«
    »Es muss in einer Kirche sein. Eines Tages werden wir dies unter freiem Himmel tun, aber heute muss es in einer Kirche sein. Bitte vergib mir!«
    Sie schließt die Augen und hebt die Hände zur Decke. Eine Frau, die gerade hereinkommt, schüttelt missbilligend den Kopf. Wir sind schließlich an einem heiligen Ort und sollten die Rituale respektieren, die hier Gültigkeit haben. Ich tue so, als bemerkte ich den Blick der Frau nicht, und sehe zu meiner Erleichterung, dass Hilal jetzt mit dem Geist spricht, der die Gebete und die wahren Gesetze bestimmt, und dass nichts auf der Welt sie mehr ablenken kann.
    »Ich befreie mich vom Hass durch die Vergebung und die Liebe. Ich begreife, dass das Leid, wenn es nicht vermieden werden kann, dazu dient, mich auf dem Weg zur Herrlichkeit voranschreiten zu lassen. Alles ist mit allem verbunden, alle Wege laufen aufeinander zu, und alle Flüsse münden ins selbe Meer. Deshalb bin ich in diesem Moment ein Werkzeug der Vergebung. Vergebung für begangene Verbrechen, für eines, das ich kenne, und andere, die mir unbekannt sind.«
    Ja, ein Geist spricht zu ihr. Ich kenne diesen Geist und dieses Gebet, denn ich habe es vor vielen Jahren in Brasilien gelernt. Damals wurde es von einem kleinen Jungen gesprochen, nicht von einem Mädchen. Aber Hilal wiederholt die Worte, die im Kosmos darauf warten, benutzt zu werden, wenn sie gebraucht werden.
    Hilal spricht leise, aber die Akustik in der Kirche ist so vollkommen, dass alles, was sie sagt, aus den vier Himmelsrichtungen zurückzuhallen scheint.
     
    »Ich vergebe die Tränen, die sie mich haben vergießen lassen.
    Ich vergebe das Leid und die Enttäuschungen.
    Ich vergebe begangenen Verrat und Lügen.
    Ich vergebe Verleumdungen und Intrigen.
    Ich vergebe Hass und Verfolgung.
    Ich vergebe die Schläge, die mich verletzt haben.
    Ich vergebe die zerstörten Träume.
    Ich vergebe zerstörte Hoffnungen.
    Ich vergebe Lieblosigkeit und Eifersucht.
    Ich vergebe Gleichgültigkeit und Böswilligkeit.
    Ich vergebe Ungerechtigkeit im Namen der Gerechtigkeit.
    Ich vergebe Zorn und Misshandlungen.
    Ich vergebe Vernachlässigung und Vergessen.
    Ich vergebe der Welt mit all ihren Übeln.
     
    Sie senkt die Arme, öffnet die Augen und schlägt die Hände vors Gesicht. Ich trete zu ihr, um sie zu

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