Aleph
anzünden und werde hierbleiben, um dich zu unterstützen. Geh in Frieden.«
Ich stelle mir den Ring vor. Hilals Vergebung in der Kirche in Nowosibirsk hat bewirkt, dass ich mich freier fühle, nach kurzer Zeit kreist der Ring von ganz allein um meinen Körper und bringt mich unaufhaltsam zu dem Ort, an den ich nicht gehen will, an den ich aber zurückkehren muss.
Ad Extirpanda
Ich blicke vom Brief auf und betrachte das gut gekleidete Paar vor mir. Der Mann im makellos weißen Leinenhemd unter einer Samtjacke mit goldbestickten Ärmeln; die Frau trägt eine Pelzjacke über den Schultern, und ihr wollenes Wams ist mit Perlen verziert. Der Kragen der langärmeligen weißen Bluse rahmt ihr besorgtes Gesicht ein.
»Wir sind seit vielen Jahren Freunde«, sagt die Frau zu meinem Superior und zwingt sich zu einem Lächeln, als wolle sie uns davon überzeugen, dass sich daran nichts geändert hat und es sich nur um ein Missverständnis handeln kann. »Ihr habt sie getauft, sie auf den Weg Gottes gebracht.« Und zu mir gewandt:
»Du kennst sie besser als alle anderen. Ihr habt als Kinder zusammen gespielt, seid zusammen aufgewachsen, und eure Wege haben sich erst getrennt, als du dich für das Priesteramt entschieden hast.«
Der Inquisitor bleibt ungerührt.
Die beiden sehen mich flehentlich an. Ich habe oft in ihrem Hause übernachtet und bei ihnen gegessen. Nachdem meine Eltern an der Pest gestorben waren, haben sie sich um mich gekümmert. Ich nicke. Obwohl ich fünf Jahre älter bin, kenne ich sie tatsächlich besser als sonst jemand: Es stimmt, wir haben zusammen gespielt, sind zusammen aufgewachsen, und bevor ich in den Dominikanerorden eingetreten bin, war sie die Frau, mit der ich den Rest meiner Tage verbringen wollte.
»Wir wollen nicht für ihre Freundinnen sprechen«, wendet sich nun der Vater an den Inquisitor, auch sein Lächeln ist aufgesetzt. »Ich weiß nicht, was sie tun oder getan haben. Ich denke, die Kirche hat die Pflicht, der Häresie ein Ende zu setzen, so wie sie auch die Bedrohung durch die Mauren beendet hat. Diese Frauen müssen schuldig sein, denn die Kirche ist niemals ungerecht. Aber Ihr wisst beide, dass unsere Tochter unschuldig ist.«
Am anderen Tag waren die Superioren des Ordens wie jedes Jahr zu dieser Zeit für ihren Besuch in der Stadt eingetroffen. Und wie jedes Jahr fanden sich aus diesem Anlass alle Einwohner auf dem Platz vor der Kirche ein. Sie waren nicht dazu gezwungen, aber wer nicht kam, machte sich sofort verdächtig. Familien aus allen Ständen versammelten sich vor der Kirche, und einer der Superioren las ein Dokument vor, in dem der Grund ihres Besuches erläutert wurde: Ketzer ausfindig zu machen und sie der irdischen und göttlichen Gerechtigkeit zu überstellen. Dann kam der Augenblick der Barmherzigkeit: Diejenigen, die das Gefühl hatten, gegen die göttlichen Lehren verstoßen zu haben, konnten sich unaufgefordert zu ihren Sünden bekennen und würden nur eine milde Strafe erhalten. Obwohl die Angst in den Augen aller Anwesenden zu sehen war, meldete sich niemand.
Dann wurde die Menge aufgefordert, jedwedes zweifelhafte Tun ihrer Nachbarn zu denunzieren. Ein Bauer trat vor, bekannt dafür, seine Töchter zu verprügeln und seine Angestellten zu misshandeln, der aber jeden Sonntag zur Messe ging, als wäre er ein unschuldiges Lamm Gottes. Er nannte die Namen jedes der acht Mädchen.
***
Der Inquisitor nickt mir zu, und ich reiche ihm den Brief. Er legt ihn zu einem Stapel Bücher.
Das Ehepaar wartet. Trotz der Kälte ist die Stirn des Mannes schweißbedeckt.
»Niemand aus unserer Familie ist vorgetreten, weil wir gottesfürchtige Menschen sind. Wir sind nicht gekommen, um diese Mädchen zu retten, ich möchte nur meine Tochter zurück. Und ich gelobe bei allem, was heilig ist, dass sie, sobald sie das sechzehnte Lebensjahr erreicht hat, einem Kloster übergeben werden wird. Ihr Körper und ihre Seele werden auf Erden keine andere Aufgabe mehr haben als die Anbetung der göttlichen Majestät.«
»Dieser Mann hat sie im Beisein der ganzen Stadt beschuldigt«, sagt schließlich der Inquisitor. »Er würde öffentlich seine Ehre verlieren, wenn man ihn der Lüge überführt. Die meisten Denunziationen sind anonym, so viel Mut ist selten.«
Erleichtert, dass der Inquisitor zuletzt doch noch sein Schweigen gebrochen hat, nutzt der Vater des Mädchens seine Chance.
»Ich bin sein Feind, und das wisst Ihr. Ich habe ihn entlassen, weil er meine
Weitere Kostenlose Bücher