Alera 01 - Geliebter Feind
waren ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet, allerdings waren ihre Blusen asymmetrisch auf einer Seite geknöpft, genau wie die Jacke, die Narian auf der Feier zu seinen Ehren im Palast getragen hatte. Alle Kleidungsstücke waren locker geschnitten und gewährten größte Bewegungsfreiheit. Jede der Frauen trug ein Schwert an der Hüfte, einen Bogen auf dem Rücken sowie einen Dolch im Schaft ihrer hohen schwarzen Stiefel.
Die Hohepriesterin blieb etwa fünf Meter vor dem Podest, auf dem wir saßen, stehen. Wachsam betrachtete sie den König ihrer Feinde. Ihr feuerrotes kinnlangesHaar fiel um ihr bronzefarbenes Gesicht. Sie bezeugte meinem Vater keinerlei Respekt oder Ehre – eine Herrscherin verbeugt sich nicht vor einem Herrscher –, sondern wartete nur in stolzes Schweigen gehüllt.
»Tragt Euer Anliegen vor«, befahl mein Vater, als die Spannung fast unerträglich geworden war. Seine Stimme klang dabei so kalt wie die Luft im Saal.
Die Hohepriesterin sprach ohne Zögern und strahlte dabei eine solche Kraft aus, wie ich sie noch nie bei einem Menschen gespürt hatte.
»Ich bin gekommen, um die Herausgabe eines cokyrischen Jungen zu verlangen, der hier in Hytanica festgehalten wird. Wisst Ihr, von wem ich spreche?«
»Ich weiß von einem Jungen, der als Neugeborener entführt und in Cokyri aufgezogen wurde, nun aber seine wahre Heimat in Hytanica wiedergefunden hat«, erwiderte mein Vater.
Die Hohepriesterin ging auf seine streitbare Entgegnung nicht ein.
»Ihr wisst, dass wir denselben Jungen meinen«, sagte sie beherrscht, aber in ungeduldigem Ton.
Mein Vater verlegte sich auf eine andere Taktik. »Welchen Grund sollte es für die Hohepriesterin von Cokyri geben, auf die Rückkehr eines ausgerissenen Kindes zu dringen?«
»Ich würde auf die Rückkehr jedes Cokyriers dringen, der in Hytanica festgehalten wird«, antwortete sie angriffslustig.
»Wir haben den Jungen nicht zum Hierbleiben gezwungen«, verwahrte mein Vater sich gegen ihre Unterstellung. »Er hat sich aus freien Stücken entschlossen, hierzubleiben.«
»Dann würdet Ihr ihm auch die Rückkehr nach Cokyri gestatten, wenn er sich dazu entschlösse?«
Der König überlegte einen Moment und erklärte dann: »Ja, das würde ich.«
Die Hohepriesterin erhob die Stimme, als sie ihre zweite Forderung vorbrachte.
»Ich bestehe darauf, mit Narian zu sprechen.«
Zum ersten Mal sah mein Vater Cannan an, woraufhin der imposante Hauptmann vortrat. Ich bemerkte, wie die wachsamen Augen der Hohepriesterin zwischen Cannan und dem König hin und her gingen. Offenbar versuchte sie einzuschätzen, welches Verhältnis sie zueinander hatten.
»Wir werden ihn holen lassen«, sagte Cannan mit zusammengebissenen Zähnen und traf damit die Entscheidung, um die der König ihn stumm gebeten hatte. Seine dunklen Augen blickten kalt und hart, und mir wurde klar, welche Anstrengung es für all jene, die im Krieg mitgekämpft hatten, bedeuten musste, sich in ihren Worten und Handlungen zurückzuhalten.
»Meine Wachen werden Euch in die Versammlungshalle geleiten, während wir auf sein Erscheinen warten«, sagte mein Vater und verbarg seine Abneigung gegen die Gruppe vor ihm hinter förmlicher Gastlichkeit. Dann wandte er sich an den Sicherheitsoffizier. »Kade, veranlasst die nötige Eskorte und lasst in der Küche Bescheid sagen, dass man unseren Gästen Erfrischungen bringen soll.«
Kade gab die Befehle meines Vaters unverzüglich weiter, und sogleich umringten mehr als doppelt so viele Palastwachen die sieben Cokyrierinnen. Man verließ gemeinsam den Thronsaal durch das Vorzimmer und begab sich in die Versammlungshalle. Als sich die Türen zum Thronsaal wieder geschlossen hatten, herrschte erneut Schweigen.
Die königliche Familie zog sich ins Studierzimmerdes Königs zurück, während Cannan und ein Elitegardist sich aufmachten, Narian aus dem Gästezimmer im dritten Stock zu holen, wo er die Nacht verbracht hatte. Man hatte ihm aufgetragen, in dem Zimmer zu bleiben, damit man ihn sogleich fände, wenn seine Anwesenheit gefragt war. Noch wichtiger war jedoch, dass die Cokyrier nichts von seinem Aufenthalt im Palast erfahren sollten.
Destari, Halias sowie einige Angehörige der Leibgarde meines Vaters blieben vor der Tür des Studierzimmers stehen, nachdem wir es betreten hatten. Der Rest der Palastwache und Elitegarde ging im Thronsaal umher. Auch dieser Raum erschien mir schrecklich kalt, obwohl im Kamin ein Feuer brannte. Daher ließ ich mich auch in einen
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