Alera 01 - Geliebter Feind
herrschende Schweigen. »Wir sollten London kommen lassen, Sir.«
Einen Moment lang starrten alle Halias an, der unerschütterlich dastand und seine blitzblauen Augen fest auf Cannans Gesicht gerichtet hatte. Daraufhin sahen alle den Hauptmann an. Cannan musterte Halias ein paar lange Minuten finster und gab sich nicht die geringste Mühe, die Wut in seinem Blick zu verbergen. Schließlich wandte er sich jedoch an Destari.
»Weißt du, wo London ist?«
»Ja, Sir, das weiß ich.«
»Dann geh zu ihm und bring ihn her. Und erklär ihm, worum es geht.«
Destari nickte und verließ den Thronsaal durch die Türen zum Vorzimmer.
Im Saal wurden die Gespräche wieder aufgenommen, und ich versuchte ein paarmal, Narians Blick einzufangen. Doch jedes Mal, wenn ich zu ihm hinübersah, war seine Aufmerksamkeit durch etwas anderes in Anspruch genommen, und ich musste zudem den Eindruck gewinnen, dass er dies auch durchaus beabsichtigte.
Nach Destaris Abgang wandte mein Vater sich an meine Mutter, Miranna und mich.
»Ihr braucht nicht länger zu bleiben. Es wäre sogar besser, ihr würdet euch in eure Gemächer zurückziehen, während wir Männer die weiteren Schritte bereden.«
Meine Mutter nickte mit blassem Gesicht, und mein Vater bemühte sich, sie zu beruhigen.
»Wir sind schon öfter mit den Cokyriernfertiggeworden, und das wird uns auch diesmal gelingen. Es besteht also kein Grund zur Sorge.«
Meine Mutter erhob sich und verließ mit Miranna und einigen Wachen den Saal. Halias blieb, und auch ich machte keine Anstalten, ihnen zu folgen. Schließlich sah mein Vater mich fragend an.
»Ich würde es vorziehen zu bleiben. Ich werde auch keinesfalls stören. Ich möchte nur wissen, wie die Entscheidung in Bezug auf Narian ausfällt.«
Er willigte ein, wohl auch schlicht aus dem Grund, weil er für eine Auseinandersetzung viel zu beschäftigt war. Daraufhin ließ ich mich tiefer in meinen Sessel sinken. Zum einen, damit mir wärmer wurde, zum anderen, damit ich weniger auffiel. Cannan trat näher an meinen Vater heran, und die beiden unterhielten sich angeregt, bis der Hauptmann schließlich Narian zu sich winkte, der immer noch als stummer Beobachter an der Wand lehnte. Narian streckte sich, kam näher und verbeugte sich ehrerbietig vor dem König.
Cannan musterte den jungen Mann einige Augenblicke, doch Narian schaute so unerschrocken zurück, als würde ihm diese Prüfung nicht das Geringste ausmachen.
Endlich ergriff Cannan das Wort: »Die Hohepriesterin würde keinem beliebigen cokyrischen Jungen höchstpersönlich nachreisen. Deshalb ist es wohl an der Zeit, dass Ihr uns etwas über Euer Verhältnis zu ihr verratet.«
Bei Cannans Worten schnürte sich mir die Brust zusammen, und ich begann, an der Fuchspelzdecke auf meinem Schoß herumzuzupfen. Nach einem Seitenblick meines Vaters zwang ich mich, meine Hände bewegungslos ruhen zu lassen, da ich nicht wollte, dass Cannan auf meine nervöse Gewohnheit aufmerksam wurde. Schließlich könnte er daraus ableiten, dass ichetwas Relevantes zu seiner Aufforderung zu sagen hätte. Ich war mir nicht sicher, wie viel Narian von der Wahrheit preisgeben würde. Sicher war für mich allerdings, dass ich nicht in der Lage wäre, etwas zu verbergen, sollte der Hauptmann mich direkt befragen. Doch Narian sagte nichts. Seine Miene blieb undurchdringlich.
»Vielleicht seid Ihr nichts anderes als ein Ausreißer«, fuhr Cannan fort und behielt seinen strengen Blick auf das Gesicht des Sechzehnjährigen gerichtet. Als Narian darauf immer noch nichts antwortete, wandte Cannan sich an den König. »Wenn das der Fall sein sollte, Sire, dann sehe ich keinen Grund, einen Krieg zu riskieren, nur um ein missratenes Kind vor der Strafe seiner Eltern zu beschützen.«
Ich war mir nicht sicher, ob Cannan ernsthaft in Erwägung zog, Narian der Hohepriesterin auszuliefern, aber angesichts der bloßen Möglichkeit zog sich mein Magen bereits zusammen. Ich warf einen Blick auf die Türen des Vorzimmers und hoffte, dass dieses Gespräch beendet wäre, bevor London und Destari einträfen, denn die beiden würden dem Hauptmann gewiss die gewünschten Informationen liefern.
»Ich kann nichts über den Grund sagen, aus dem man mich entführt hat«, erwiderte Narian schließlich ungewöhnlich schüchtern, sodass ich mich fragte, ob er sich nicht in Wirklichkeit verstellte.
»Wie ich Euch bereits gesagt habe, wusste ich bis zum vergangenen Sommer nicht einmal, dass ich Hytanier bin. Dann kam ich
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