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Alera 01 - Geliebter Feind

Alera 01 - Geliebter Feind

Titel: Alera 01 - Geliebter Feind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cayla Kluver
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fest zusammen, dass es wehtat. Mir war zum Weinen zumute, wenn ich an die Familien der sechs Gefallenen dachte und daran, dass sie bald erfahren würden, dass ihre Ehemänner, Väter, Brüder oder Söhne bei einer einfachen und auf den ersten Blick harmlosen Mission getötet worden waren. Vielleicht warteten ihre Frauen mit dem Abendessen auf sie, obwohl sie leblos und von cokyrischen Pfeilen durchbohrt am Ufer des Recorah lagen. Mühsam hielt ich die Tränen zurück, indem ich mir die würdevollen Gesichter der Cokyrierinnen ins Gedächtnis rief, die sich vor nicht einmal einer Woche in meiner Heimat aufgehalten hatten. Ich betrachtete sie jedoch nicht länger als majestätische Gestalten, sondern als gnadenlose Mörderinnen.
    »War der Feind stark genug, um sofort eine Bedrohung darzustellen?«, fragte Cannan, während ich noch versuchte, mich von meinem Schock zu erholen.
    »Nein, Sir. Keine Bedrohung für die Stadt«, antwortete Destari. »Sie sind uns nicht gefolgt, sondern begnügten sich offensichtlich mit der geübten Vergeltung. Außerdem gab es auch bei ihnen Verletzte, vielleicht sogar Tote.«
    »Geht auf die Krankenstation, um zu sehen, wer durchkommt. Und du, Destari, lässt deine Wunde versorgen«, ordnete Cannan an. Er klang ausgelaugt, denn nach sechzehn friedlichen Jahren waren all die Verluste und Schmerzen, die der Krieg mit sich brachte, von Neuem gegenwärtig. »Ich werde einen Trupp losschicken, der die Toten einsammelt. Außerdem verstärken wir die Posten zum Schutz der Brücke.«
    London und Destari nickten und die kleine Gruppe zerstreute sich. Die beiden Gardisten verließen den Palast durch die Haupttore, Cannan und mein Vater zogen sich wieder in den Dienstraum des Hauptmannes zurück.
    Als Folge des Debakels an der Brücke erhöhte Cannan auch die Zahl der Soldaten, die Tag und Nacht an Hytanicas Grenzen patrouillierten. Außerdem schickte er Späher ins Niñeyre-Gebirge, die die Aktivitäten der Cokyrier beobachten sollten. Auch wenn unsere Feinde sich momentan ruhig verhielten, so erwartete doch niemand, dass dieser Zustand anhielt. Unser ganzes Königreich lauerte in höchster Alarmbereitschaft auf Anzeichen ihrer Rückkehr. Bislang blieben diese jedoch aus. Destari, der in weniger als einer Woche nach seiner Verwundung auf seinen Posten zurückgekehrt war, fühlte sich an das Ende des letzten Krieges erinnert. Damals hatten die Cokyrier ihre Angriffe ganz plötzlich eingestelltund ihre Feldlager aufgegeben. Sechzehn Jahre lang blieben sie daraufhin unsichtbar.
    Während die Tage vergingen, herrschte in der Stadt eine merkliche Unruhe. Unmissverständlich schwebte eine böse Vorahnung über allem, doch jeder Tag brachte eine Verlängerung der Galgenfrist. Es war bereits Anfang Dezember und der Vorfall an der Brücke lag schon über zwei Wochen zurück, als die Atmosphäre in der Stadt und im Palast sich spürbar entspannte. Die Weihnachtszeit stand bevor und trotz des ungeklärten Verhältnisses zu Cokyri besserte sich die allgemeine Stimmung. Auch wenn Cannan weder Zahl noch Stärke der Patrouillen gesenkt hatte, begannen die Menschen in Hytanica zu glauben, dass die Cokyrier wohl doch keinen Angriff planten. Vielen war es ohnehin unvorstellbar gewesen, dass sich wegen eines unbedeutenden Sechzehnjährigen ein Krieg entzünden sollte.
    Während dieser nervenzehrenden, aber ereignislosen Zeit sah ich Narian kaum, auch wenn er weiterhin in unserem Gästetrakt wohnte. Gesprochen hatte ich ihn überhaupt nicht mehr. Ich konnte nur vermuten, dass Cannan ihm den Zugang zu manchen Bereichen des Schlosses untersagt hatte, wahrscheinlich weil er sich nach wie vor Gedanken über Narians Verhältnis zu der Hohepriesterin machte. Dafür sah ich London häufiger, da er oft mit Destari zusammen war. Manchmal kam es mir deshalb vor, als hätte ich wieder zwei Leibwächter. Folglich war ich auch nicht erstaunt, als ich eines späten Nachmittags meine Gemächer verließ, um die Bibliothek aufzusuchen, und die beiden vor der Tür meines Salons antraf.
    Während ich mich auf den Weg über die Flure machte, folgten die beiden Gardisten mir und unterhielten sich in gedämpftem Tonfall. Ich war so unsagbar glücklich darüber, London wiederzuhaben, dass ich mir garkeine Gedanken über ihr Verhalten machte. Obwohl es noch nicht an der Zeit fürs Abendessen war, hatte man bereits alle Lichter entlang der Flure angezündet. Jetzt, wo der Winter kurz bevorstand, waren die hellen Stunden des Tages gezählt.

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