Alera 01 - Geliebter Feind
würde. »Lasst die Cokyrier wissen, dass wir uns dazu durchgerungen haben, Narian auszuliefern, er sich jedoch noch angemessen von seiner Familie verabschieden will. Sagt ihnen, dass wir ihn in fünf Tagen zur Brücke bringen, um ihn ihrer Obhut zu übergeben. Innerhalb dieser fünf Tage muss Hytanica sich auf jegliche Reaktion Cokyris einstellen, die erfolgen wird, wenn klar wird, dass wir Narian keineswegs ausliefern. Wir müssen Truppen aufstellen, falls es so weit kommt, dass die Stadt angegriffen wird.«
»Und die angekündigte Zusammenkunft an derBrücke?«, fragte der König. »Sollen wir die gänzlich ignorieren?«
»Ich werde die Cokyrier zum vereinbarten Zeitpunkt treffen und dort versuchen, ihren Vergeltungsschlag abzuschätzen.« Londons Äußerung zog halblautes Murren nach sich, dem er jedoch keinerlei Beachtung schenkte. »Ich werde die Hohepriesterin davon in Kenntnis setzen, dass wir Narian aufgrund seiner Herkunft und seiner freien Entscheidung als Hytanier betrachten und ihn folglich nicht ausliefern.«
Trotz des widerwilligen Gemurmels der übrigen Anwesenden nickten Cannan und mein Vater zustimmend zu Londons vorgeschlagener Strategie. Danach entließ mein Vater alle Männer bis auf seine Leibgarde, während Cannan und London sich in den Dienstraum des Hauptmannes zurückzogen, um die Einzelheiten des Planes durchzusprechen. Als sie an Narian vorübergingen, registrierte ich, dass dessen kühle blaue Augen ununterbrochen auf Londons Gesicht ruhten.
26. FEINDE VON AUSSEN,
FEINDE VON INNEN
Nachdem die Hohepriesterin dem Treffen an der Brücke in fünf Tagen zugestimmt hatte, herrschte in der Stadt größte Betriebsamkeit. Man bereitete sich auf eine mögliche Belagerung vor. Cannan schickte Boten in die umliegenden Dörfer, damit deren Bewohner sich bereitmachten, im Ernstfall rasch Schutz hinter den Stadtmauern zu suchen. Jäger durchstreiften die Wälder im Norden, und die Dorfbevölkerung schlachtete alles, was entbehrlich war, um Nahrungsvorräte anzulegen. Man trug auch alle anderen Arten von Vorräten für einen langen und harten Winter zusammen. Die Waffen wurden geprüft, nötigenfalls repariert und gezählt, die Arsenale im Palast und der Kaserne gefüllt, damit es auch nicht einem Soldaten an der nötigen Ausrüstung fehlte.
Als der fünfte Tag anbrach, erwachte ich noch vor der Morgendämmerung. Ich wollte London und die dreißig Soldaten, die ihn auf seiner Mission begleiten würden, noch einmal sehen. Auch Destari würde an der Zusammenkunft teilnehmen. Als einziger Offizier außer London wäre es seine Aufgabe, abzuschätzen, wie rasch und in welchem Umfang die Cokyrier Hytanica angreifen würden, nachdem sie die Botschaft des Königs erhalten hätten.
In Destaris Abwesenheit war Tadark wieder zu meinem Leibwächter berufen worden. Ich hatte den schmächtigen Wachmann mit dem Kindergesicht nicht mehr gesprochen, seit er mich bei Cannan wegen Narians Selbstverteidigungsunterricht angeschwärzt hatte. Wohldeshalb war er anfangs etwas befangen, doch ich schenkte dem keinerlei Beachtung, denn mich trieben ganz andere Sorgen um. Leider dauerte es nicht lange, bis er für sich zu dem Schluss kam, alles sei vergessen, wenn nicht gar vergeben, und seine ärgerlichen Gewohnheiten wieder aufnahm.
Mit dem lästigen Tadark auf den Fersen lief ich die Prunktreppe hinunter und hinaus in den Haupthof. London, Destari, Cannan und mein Vater standen bereits an den Toren auf der gegenüberliegenden Seite. Destari war in Uniform, wie man das von jedem erwartete, der Hytanica offiziell vertrat. Nur London, der ewige Rebell, trug sein ziviles Lederwams und seine verwitterten Stiefel. Auf der anderen Seite der geöffneten Tore warteten die Soldaten in voller Kampfmontur mit Rüstungen für Brust und Rücken hoch zu Ross auf die beiden Elitegardisten.
Ich ging mit Tadark auf sie zu und fror trotz meines schweren Umhangs in der kalten Morgenluft. Es sollte zwar nur eine einfache Zusammenkunft werden, doch rechnete niemand damit, dass die Cokyrier Hytanicas Botschaft wohlwollend aufnehmen würden. Wahrscheinlich würden weniger Soldaten zurückkehren als jetzt aufbrachen.
Ich blieb ein paar Schritte von den Männern entfernt stehen, weil ich wusste, dass zumindest Cannan und mein Vater meine Anwesenheit nicht gutheißen würden. Dennoch wollte ich London und Destari Glück wünschen. Denn obwohl London sein Amt im Palast wiederhatte, hatte er mich noch nicht aufgesucht, und ich konnte nur hoffen,
Weitere Kostenlose Bücher