Alera 01 - Geliebter Feind
dass die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung kämen.
London erblickte mich und kam auf mich zu, bevor er sein Pferd bestieg.
»Du solltest nicht hier sein«, tadelte er mich. »Aber ich kenne niemand, der so viel Regeln bricht wie du.«
»Ich denke, das kann man deinem Einfluss zuschreiben«, erwiderte ich und war erleichtert über seinen lockeren Ton.
»Wir werden unversehrt zurückkehren, aber falls nicht, so sollst du wissen, dass das, was zwischen uns vorgefallen ist, der Vergangenheit angehört und du immer in meinem Herzen warst.«
Ich nickte und spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Er und Destari saßen auf und ritten an die Spitze des Trupps. Ich sah ihnen nach, bis meine düsteren Gedanken mir noch mehr zusetzten als die Kälte. Dann suchte ich die Stille der Kapelle, um ein Gebet für die unversehrte Rückkehr unserer Leute zu sprechen. Anschließend kehrte ich in meine Gemächer zurück, um dort auf Nachricht zu warten.
Die Zeit verging langsam und meine schlimmen Vorahnungen wuchsen beständig. Inzwischen mussten unsere Männer die Brücke erreicht haben. Wie viele Cokyrier hatten sie dort wohl angetroffen? War die Botschaft wohl schon überbracht? Wie hatte der Feind darauf reagiert? Und die schlimmste Frage von allen: Waren die mir vertrautesten Gardisten überhaupt noch am Leben?
Im weiteren Verlauf des Tages trat ich immer wieder auf meinen Balkon hinaus, um die Stadt und das Land, das ich jenseits der Mauern sehen konnte, auf eine Bewegung hin abzusuchen. Doch erst als die schwache Novembersonne bereits zu sinken begann, konnte ich in der Ferne sich nähernde Reiter ausmachen. Ich starrte ihnen angestrengt entgegen, weil ich wusste, dass London und Destari an der Spitze reiten würden. Dann stürzte ich aus meinen Gemächern und in Richtung derPrunktreppe, weil ich vorneweg nur ein einzelnes Pferd erkannt hatte.
Mit einem elenden Gefühl im Bauch wartete ich auf dem Absatz oberhalb des Erdgeschosses. Unter mir hörte ich Schritte und sah Cannan und meinen Vater gefolgt von einigen Wachen aus dem Vorzimmer kommen. Offenbar waren sie über das Herannahen unserer Männer bereits informiert.
Ich blieb, wo ich war, denn mein Vater hätte meine Anwesenheit, wenn die Elitegarden hereinkamen und Bericht erstatteten, sicher nicht gutgeheißen. Ich schluckte und versuchte, den Kloß aus meinem Hals zu bringen, und zumindest diesmal besaß Tadark so viel Takt, mir etwas Freiraum zu gewähren und auf Abstand zu bleiben.
Die seltsame Ruhe war quälend, und die Zeit schlich dahin. Dabei dauerte es tatsächlich nur wenige Minuten, bis die Palastwache die Türen aufriss. Als London und Destari keuchend hereinstürmten, umklammerte ich das Treppengeländer, weil ich fürchtete, vor Erleichterung in Ohnmacht zu fallen.
London schien unverletzt, wenn auch völlig verschwitzt und verdreckt. Destaris linker Hemdsärmel war allerdings blutgetränkt. Die darunterliegende Wunde musste heftig geblutet haben. Der Anblick verursachte mir leichte Übelkeit, aber ich gab kein Geräusch von mir und versuchte, nicht wegzusehen.
»Berichtet«, ordnete Cannan an und schien von der Verfassung seiner zwei Elitesoldaten irritiert.
»Die Cokyrier waren über meine Nachricht nicht erfreut«, bemerkte London sarkastisch und rieb sich den Nacken. »Als wir den Rückzug antraten, haben sie uns angegriffen. Mein Pferd wurde von einem Pfeil in den Hals getroffen. Destari kehrte um und rettete mich, wobei ihn ein Pfeil an der Schulter erwischte.«
»Er hat meinen Arm nur gestreift«, sagte Destari, als er die besorgten Blicke auf sich spürte. »Es sieht schlimmer aus, als es sich anfühlt.«
»Du solltest das umgehend untersuchen lassen«, riet mein Vater und deutete auf die Wunde. Offenbar war er bei ihrem Anblick erschrockener als ich. »Du musst stark geblutet haben – vielleicht muss die Stelle genäht werden.«
»Viele hat es schlimmer getroffen als mich, Eure Majestät. Ich brauche im Moment keine Versorgung.«
»Wie viele von Euch wurden denn verletzt?«, hakte Cannan nach, und mir graute bereits vor der Antwort.
»Vierundzwanzig Soldaten sind mit uns zurückgekehrt«, sagte London, nachdem er Destari kurz angesehen und scheinbar beschlossen hatte, die schlechten Nachrichten selbst auszusprechen. Er klang seltsam distanziert, als er fortfuhr: »Davon wurden neun sogleich auf die Krankenstation der Kaserne gebracht. Die sechs, die wir zurücklassen mussten, sind vermutlich tot.«
Ich biss die Zähne so
Weitere Kostenlose Bücher