Alera 01 - Geliebter Feind
es langsam angehen zu lassen, Alera«, sagte er, und ich sah gleichzeitig das Feuer in seinen braunen Augen. Sanft strich er mit einem Finger über mein Kinn. »Denn ich habe das Gefühl, du wirst das Warten mehr als wert sein.«
Nach einer tiefen Verbeugung verschwand er, während ich mit den Fingern über meine treulosen Lippen strich. Es war mir einfach unbegreiflich, wie ich einen Kuss von einem Mann genießen konnte, den ich so ganz und gar nicht mochte.
32. DAS ULTIMATUM
In den nächsten Tagen zerbrach ich mir ohne Unterlass den Kopf über das Gespräch, das ich mit meinem Vater würde führen müssen. Ich vermochte mir nicht länger einzureden, dass der König geneigt sein könnte, Narian als seinen Nachfolger auf dem Thron zu akzeptieren, da der erste und wichtigste Einwand gegen ihn seine fehlende Vertrauenswürdigkeit war. Nach Londons Einschätzung bezweifelte ich sogar, dass mein Vater ihm unter welchen Umständen auch immer überhaupt als Ehemann für mich zustimmen würde. Mir war sehr wohl bewusst, dass allein die Tatsache, dass ich Narian liebte, nicht ausreichte, den König umzustimmen. Doch ich musste es einfach versuchen, da mein Glück untrennbar mit dem Schicksal des jungen Mannes verknüpft war.
Was meinen Kummer noch vergrößerte, war die Tatsache, dass es London und Destari perfekt gelang, Narian von mir fernzuhalten. Ich vermisste seine Gesellschaft mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte, und machte mir Sorgen darüber, was London ihm als Grund dafür genannt haben mochte, dass er mich nicht mehr sehen durfte. Ich versuchte, mich abzulenken, und schaffte es, meine Hände mit Sticken, Gärtnern und Harfenspiel zu beschäftigen, doch mein Verstand und mein Herz verweigerten jegliche Zerstreuung. Schließlich kam mir eine ganz simple Idee: Ich konnte einem Diener auftragen, Narian einen Brief von mir zu bringen. Ich würde nicht auf Londons oder Destaris Hilfesetzen, aber immerhin konnten sie mich nicht davon abhalten, ihm zu schreiben.
Ich hatte es mir gerade in einem Sessel am Kamin gemütlich gemacht und entwarf meinen Brief, als London unangemeldet durch die Salontür hereinstürmte.
»Wo ist Narian?«, fragte er unvermittelt.
»Was?«, fragte ich völlig verdutzt zurück. »Woher soll ich das wissen?«
»Wenn du es weißt, musst du es mir sagen.«
»London, wie du am besten weißt, habe ich ihn seit fast zwei Wochen nicht gesehen.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und wollte sogleich wieder gehen.
»Was um alles in der Welt ist mit ihm?«, rief ich ihm nach und erhob mich. Der beharrliche Ton meiner Stimme ließ ihn innehalten. Langsam drehte er sich zu mir um und schien zu überlegen, ob er mir die Gründe darlegen sollte.
»Cannan wünscht ihn zu sprechen.« Als ich ihn daraufhin immer noch fragend ansah, fuhr er fort: »Der Hauptmann hat Elitegarden nach ihm geschickt, aber diese konnten ihn im gesamten Palast nicht finden.«
»Vielleicht ist er einfach in die Stadt gegangen. Wie du weißt, ist er schließlich kein Gefangener.«
»Ich habe in seinem Zimmer nachgesehen. Für einen Nachmittag in der Stadt würde man wohl kaum seinen gesamten Besitz mitnehmen.«
Londons leise gesprochene Worte trafen mich wie Donnerschläge. Als ich ihre Bedeutung begriff, erfasste mich Panik.
»Er würde niemals einfach so verschwinden!«, sagte ich und wurde blass.
London trat auf mich zu, legte eine Hand auf meinen Arm und führte mich zu meinem Sessel zurück. Alsich darauf niedersank, kam mir ein schlimmer Verdacht, und ich funkelte ihn vorwurfsvoll an.
»Hast du Cannan von der Legende erzählt?«
»Ja, aber das kann nicht der Grund für Narians Verschwinden sein, weil er nichts von diesem Gespräch wusste.«
»Aber wie hat Cannan es aufgenommen?«, beharrte ich.
»Nicht gut. Er ist wütend über Narians Verschwinden und darüber, dass er nicht ehrlich war. Cannan hat wenig Geduld mit Menschen, die versuchen, ihn zu täuschen.«
»Aber warum hat Cannan seine Wachen nach ihm geschickt? Warum ist er nicht selbst zu ihm gegangen, um mit ihm zu reden?«
»Ich habe dir doch bereits gesagt, dass Cannan verärgert ist. Er nimmt Narians Verhalten persönlich und wollte ihm sowohl die Ernsthaftigkeit der Lage klarmachen als auch seine Absicht, mit aller Härte auf diese Verfehlung zu reagieren.«
Ich saß stumm da und versuchte zu begreifen, warum Narian so unvermittelt verschwunden war.
»Alera, ich muss jetzt gehen. Cannan hat die Stadt abriegeln lassen, und vielleicht
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