Alera 02 - Zeit der Rache
der Lage, trotz der Verwüstung, die gerade stattgefunden hatte. »Wenn nicht, stünde noch dein Dienstzimmer zur Verfügung.«
Vater und Sohn starrten einander an, und obwohl Steldor immer noch angespannt wirkte, schien eine körperliche und emotionale Erschöpfung über ihn zu kommen. Zu meiner großen Erleichterung hatte der Ausbruch ihn wohl ein wenig ruhiger werden lassen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich mich gefahrlos in seiner Nähe aufhalten konnte.
Fast unmerklich gab Cannan Halias mit einer Kopfbewegung zu verstehen, er solle mich aus dem Raum bringen. Ohne ein Wort fasste der Elitegardist mich am Oberarm und schob mich rasch durch die Tür rechts von uns ins Wachzimmer und von dort in die Große Halle hinaus.
Stumm ließ ich mich von ihm die Treppen hinauf und in meine Gemächer führen, wo er mich zögernd zurückließ. Ich wusste, dass er am liebsten gefragt hätte, ob Narian irgendetwas von Miranna erwähnt hatte, aber aus Rücksicht auf meinen erschöpften Zustand bezähmte er seine Neugier und nahm draußen auf dem Gang seinen Posten ein. Rasch begab ich mich in mein Schlafgemach und ließ mich auf die Bettkante fallen.
Ich war starr vor Schreck ob der Seite meines Gemahls, die ich soeben erlebt hatte. Jeder wusste, dass er ein heftiges Temperament besaß, aber mit einem derart gewalttätigen Ausbruch hätte ich trotzdem nicht gerechnet. Wie konnte ich bei unserer nächsten Begegnung eine ähnliche Reaktion verhindern? In Cannans Zimmer hatte er mich nicht körperlich attackiert, aber was würde er tun, wenn wir allein waren? Wozu wäre er dann in der Lage? Trotz meiner Erschöpfung konnte ich mich nicht hinlegen. Zum Schlafen war ich ohnedies viel zu aufgebracht und verängstigt.
Und was war mit Narian? Wie war es zu dem Feuer auf Koranis’ Gut gekommen? Hatte Narian es hervorgezaubert? Die Vorstellung erschien mir abwegig, war aber zugleich die einzige Erklärung, die mir einfiel. Ich zwang meinen müden Verstand, sich anzustrengen, und kam noch auf eine andere Idee. Vielleicht hatte er das explosive Pulver benutzt und damit noch vor unserer Ankunft eine Linie auf dem Boden gezogen, für den Fall, dass er fliehen müsste. Aber das klang mir auch nicht sehr wahrscheinlich. Wer rechnete schon damit, eine Feuerwand zu brauchen? Wenn überhaupt jemand, dann wohl Narian, aber das beantwortete noch nicht die Frage, wie er das Pulver genau im richtigen Moment am richtigen Ort hatte entzünden können. Da erinnerte ich mich an meine erste Unterhaltung mit London über Cokyri. Damals hatte er mir erzählt, unsere Soldaten glaubten, der Overlord könne Menschen mit einem Wink seiner Hand töten. War es möglich, dass Narian über ähnliche Kräfte verfügte? Aber wenn ja, wie hatte er diese Kräfte dann erworben?
In meinem Kopf drehte sich alles, während ich versuchte, die vielen Eindrücke zu verarbeiten. Narian rettete also das Leben meiner Schwester mit jedem Befehl, den er befolgte. Wenn er sich den Anordnungen seines Gebieters widersetzte, hätte das ihren Tod zur Folge, würde aber gleichzeitig den Angriff auf Hytanica auch nicht verhindern. Er hatte zu verstehen gegeben, der Overlord würde uns mit oder ohne seine Hilfe attackieren und ein schreckliches Gemetzel anrichten. Er schien überzeugt, dass es besser wäre, wenn er den Angriff auf unser Königreich anführte. Dass er das hytanische Volk am besten schützen könne, indem er uns eroberte. In gewisser Weise ergab das sogar einen Sinn – und zwar dann, wenn wir uns noch vor Kriegsausbruch ergaben.
Doch an diesem Abend war alles schiefgelaufen. Destari hatte mich hintergangen; Narian hatte mir aufgetragen, alles zu vergessen, was je zwischen uns gewesen war, und so weiterzuleben, als wären wir uns nie begegnet; und der Mann, dem ich angetraut worden war, schien bereit, mich zu erwürgen.
Ich hörte, wie sich die Tür zum Salon öffnete, und als sie gleich darauf zuknallte, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Steldor soeben hereingekommen war. Ich wagte kaum zu atmen, weil ich fürchtete, er würde mich aufsuchen oder zu sich rufen, aber nichts von beidem geschah. Stattdessen hörte ich als Nächstes, wie auch die Tür zu seinem Schlafgemach wütend zugeschlagen wurde. Erleichtert atmete ich aus und gestattete mir endlich, in meine Kissen zu sinken.
Das Wetter am nächsten Tag stand in vollkommenem Gegensatz zu meiner Stimmung. Strahlender Sonnenschein fiel durch das Fenster meines Schlafgemachs, und ich konnte die
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