Alera 02 - Zeit der Rache
Vögel auf das Herrlichste zwitschern hören. In Anbetracht der Ereignisse am Vorabend war eine solche Idylle geradezu quälend. Ich fühlte mich immer noch müde, als ich mich aus dem Bett hochraffte, um mir von Sahdienne beim Ankleiden helfen zu lassen. Mein Verstand schien längst nicht alles verarbeitet zu haben und funktionierte nur träge.
Am meisten wünschte ich mir, alles wäre endlich vorbei. Ich wollte Miranna und London wieder bei mir haben, und dazu den Frieden, der noch vor knapp zwei Jahren geherrscht hatte. Ich wünschte, unverheiratet zu sein und mich nicht mit Steldors Eifersucht und Zorn auseinandersetzen zu müssen, und ich wollte Narian, um … Hier endete mein stummer Monolog, denn ich wusste nicht, wie ich den Satz hätte beenden sollen. Am einfachsten wäre es, mir zu wünschen, ich wäre ihm nie begegnet, so wie er es sich zu wünschen schien. Doch wenn ich an ihn dachte, vermochte ich mir das nicht zu wünschen. Im Gegenteil wünschte ich mir dann nichts anderes, als dass wir fern von all den Sorgen, die uns wie eine Seuche befallen hatten, zusammen sein könnten. Am liebsten wäre ich vor diesem schrecklichen Leben davongelaufen, aber ich hatte keine andere Wahl, als es in der schwachen Hoffnung zu ertragen, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde.
Ich begab mich in den Salon, setzte mich aufs Sofa und scheuchte Sahdienne hinaus. Die völlige Stille hinter Steldors geschlossener Schlafzimmertür bedeutete wohl, dass er schon fort war, was mir nur recht sein konnte. Ich selbst wollte nirgendwohin und fragte mich besorgt, was dieser Tag mir bringen mochte, als es an der Tür klopfte.
»Komm herein«, rief ich und glaubte, Sahdienne hätte etwas vergessen. Steif erhob ich mich, weil mir von dem gestrigen Ritt noch die Muskeln schmerzten und der Schlaf mir kaum Erholung gebracht hatte.
Ich erschrak, als Cannan über die Schwelle trat. Er verneigte sich nur knapp, und sein Blick wanderte schnell durch den Raum.
»Ist Steldor in seiner Schlafkammer?«, fragte er.
»Ich dachte, er sei schon fort, aber er könnte auch noch da sein. Wenn ja, dann hat er zumindest keinen Laut von sich gegeben.«
Es gelang mir nicht, Cannan in die Augen zu schauen, denn ich war mir sicher, dort einen Vorwurf zu entdecken. Erst vor ein paar Monaten, als er erstmals von meiner Beziehung zu Narian erfahren hatte, war ich außer mir vor Sorge gewesen, was er von mir halten würde. Jetzt erschien mir allein der Gedanke daran unerträglich.
Cannan trat an die Tür seines Sohnes und klopfte dreimal laut.
»Steldor!«, rief er, bekam jedoch keine Antwort.
»Ich hatte vermutet, er wäre im Thronsaal oder bei Euch.«
Der Hauptmann warf mir einen kurzen Blick zu, öffnete dann die Tür, ging hinein und blieb wie angewurzelt stehen.
»Was ist denn?«, fragte ich und bekam auf einmal Angst.
Ohne mich zu beachten, machte Cannan auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück durch den Salon.
»Halias, Casimir!«, schrie er und befahl damit die beiden Gardisten, die auf dem Gang Posten standen, zu sich.
Die Tür schwang auf, und ich bemerkte ihre alarmierten Gesichter.
»Das Fenster steht offen«, sagte Cannan barsch und kniff sich mit zwei Fingern in den Nasenrücken, während er kurz die Augen schloss. »Er ist fort.«
»Anzeichen eines Kampfes, Hauptmann?«, erkundigte sich Casimir sogleich. »Sicher hätten die Königin oder die Palastwachen etwas gehört –«
»Es gab keinen Kampf«, antwortete Cannan matt und mit einem Anflug von Verzweiflung. »Das Zimmer ist unberührt, nur einige seiner Waffen fehlen. Also ist er aus freien Stücken aufgebrochen. Was hat er nach der Unterredung in meinem Dienstzimmer gestern Abend noch gemacht?«
»Er begab sich direkt in seine Gemächer, Sir«, erwiderte Casimir, der den König begleitet hatte.
»Dann hat er mindestens acht Stunden Vorsprung, sofern er die Stadt verlassen hat«, rechnete Halias.
»Er befindet sich außerhalb der Stadt«, bekräftigte Cannan.
Halias und Casimir tauschten einen Blick und hoben fragend die Augenbrauen. Woher konnte der Hauptmann das wissen?
»Sir?«, fragten sie im Chor.
»Aus dem Stall meines Stadthauses fehlte heute Morgen ein Pferd. Ich dachte an Diebstahl, aber Steldor war natürlich klug genug, nicht sein eigenes Pferd zu nehmen. An dem hätte ihn jedermann sogleich erkannt. Und er hätte sich bestimmt kein Pferd besorgt, wenn es nicht in seiner Absicht gelegen wäre, die Stadt zu verlassen.«
Cannan trat um die beiden
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