Alera 02 - Zeit der Rache
verbreitete sich unter den diensthabenden Soldaten die Nachricht, dass der Hauptmannstellvertreter zurück sei. Nachdem er auch mich erkannt hatte, ließ der Torwächter noch einen weiteren Ausruf erschallen: »Königin Alera!«
Während er noch versuchte, seiner Überraschung Herr zu werden, ließ der Mann bereits das Tor öffnen, denn Cannans Befehl zum Trotz würde er der Königin und dem Stellvertreter des Hauptmannes natürlich nicht den Einlass verwehren. Sobald sich die Barriere weit genug gehoben hatte, trieb London seine Stute in leichtem Galopp darunter hindurch. Auf der sonst so lebhaft bevölkerten Straße war das eine unübliche Gangart. Doch um diese Zeit lag alles verwaist.
»London, wie spät ist es denn?«, fragte ich ihn, weil ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte.
»Kurz nach Mitternacht.«
Wir passierten das Viertel der Händler, das östlich der Straße lag. Hin und wieder drang Gelächter oder Gesang aus einem Gasthaus, und wir sahen vereinzelte betrunkene Zecher nach Hause wanken. Je näher wir dem Palast kamen, desto stiller wurde es, bis nur noch das Geräusch der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster zu hören war.
Ich lehnte mich an den Elitegardisten, schloss die Augen und stellte mir vor, es wäre Narian. Dabei erinnerte ich mich daran, wie er zum ersten Mal auf meinen Balkon geklettert war und mich aus dem Schloss geschmuggelt hatte. Damals waren wir gemeinsam in einer wunderbaren Winternacht durch die stillen Straßen geritten und hatten uns danach in den königlichen Stallungen bis zum Morgengrauen unterhalten. Nie zuvor hatte ich mich bei einem anderen Menschen so geborgen gefühlt.
Ich war derart in meine Erinnerung vertieft, dass ich vollkommen irritiert war, als London sein Pferd anhielt und mir herunterhalf. Wir befanden uns nicht vor dem Palast, sondern bei den Ställen. Zuerst staunte ich darüber, dann wurde mir klar, dass unmittelbar am Palasttor kein Stallbursche zugegen gewesen wäre, um das Tier zu übernehmen. Also wartete ich, während London es versorgte, und ging dann gemeinsam mit ihm zur Vorderseite des Schlosses, wobei ich versuchte, meine schmerzenden Füße zu ignorieren. Es wäre mir peinlich gewesen, London zu bitten, mich erneut zu tragen. Als wir uns dem verschlossenen Eingang zum Innenhof näherten, wurden wir auch hier von wachhabenden Soldaten gegrüßt. Sie erkannten uns sofort und beeilten sich, uns einzulassen.
»König Steldor wird erleichtert sein, Euch in Sicherheit zu wissen, Majestät«, bemerkte einer der Männer. »Er hat schon Patrouillen nach Euch ausgeschickt.«
London zog mich weiter, und im Licht der Fackeln, die den Durchgang beleuchteten, sah ich, wie er indigniert die Augenbrauen hob.
Wir gingen den mit weißen Steinplatten belegten Weg durch den zentralen Innenhof, und mir schien, als hätten die Fliederhecken zu beiden Seiten nie süßer geduftet. Die Palastwachen an den Eingangstoren stießen diese für uns auf, und ich trat in das Licht und die Wärme der Großen Halle, dabei empfand ich ungeheure Erleichterung darüber, endlich wieder zu Hause zu sein.
Galen und zwei seiner Leute standen am Ende der Halle, nahe dem Vorzimmer, und sprachen in eindringlichem Ton miteinander. Um diese Zeit herrschte im Palast Ruhe, weshalb man ihre Worte leicht verstehen konnte.
»Sollte man nicht den Hauptmann informieren, Sir? Sicher würde er –«
»Willst du dich einem Befehl des Königs widersetzen?«
»Nein, Sir.«
»Gut. Abgesehen davon denke ich, dass der Hauptmann inzwischen bereits zu Hause ist.«
Aus Galens Worten ging eindeutig hervor, dass Steldor seinen Vater nicht darüber informiert hatte, dass ich mich außerhalb des Schlosses befand, oder gar außerhalb der Stadt, und dass mein genauer Aufenthaltsort unbekannt war.
»Königin Alera!«
Galen riss den Kopf herum, als eine der Wachen, mit denen er sich gerade unterhielt, meinen Namen rief. Die Sorge fiel sichtlich von ihm ab, und seine Haltung wirkte sogleich nicht mehr derart angespannt, als er realisierte, dass ich tatsächlich wieder da war.
»Gott sei Dank.« Galens Worte klangen wie ein Stoßseufzer oder ein kurzes, erleichtertes Dankgebet. Er kam auf mich zu, doch dann hielt er noch einmal inne und bellte seinen Männern einen Befehl zu.
»Informiert sogleich den König, und dann widmet euch wieder euren üblichen Pflichten.«
Als er sich erneut mir zuwandte, fiel Galen offenbar mein erschöpfter, derangierter Zustand auf.
»Seid ihr unversehrt?«
Zu meiner und zu
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