Alera 02 - Zeit der Rache
zögernd über Steldors Lippen, als ob es ihnen widerstrebe, den, der sie aussprach, zu kompromittieren. Da wandte Cannan sich plötzlich an die anwesenden Palastwachen.
»Ihr geht hinaus auf den Hof, bis ich euch rufen lasse.«
Die Wachen zogen sich zurück, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit anzusehen und zugleich vor ihr davonzulaufen, aber ihnen blieb ohnehin keine Wahl. Nachdem sich die Tür hinter den Männern geschlossen hatte, trat Cannan bis auf einen Schritt an seinen Sohn heran, und ich ahnte, dass Steldor seine ganze Willenskraft aufbieten musste, um nicht die Flucht zu ergreifen. Der schon von seiner Gestalt her eindrucksvolle Hauptmann wirkte ausgesprochen ergrimmt, und sein wachsender Zorn ließ sich an der zunehmenden Anspannung seiner Muskeln ablesen. Er schien von einem Moment zum anderen größer und finsterer zu werden. Bisher hatte ich ihn erst ein einziges Mal so gesehen, und zwar als Narians Vater, Baron Koranis, verlangt hatte, dass sein Sohn des Landguts, das ich früher am Tage aufgesucht hatte, verwiesen würde.
»Soll ich das so verstehen«, sagte Cannan mit einer Stimme, die einem wie fernes Donnergrollen das Blut in den Adern gefrieren ließ, »dass die Königin die Stadt verlassen hat, ohne Wachen , der König ihr gefolgt ist, ohne Wachen , der König sie zurückgelassen hat, ohne Wachen , und überdies ohne ein Pferd, und es auch nicht für nötig erachtet hat, den Hauptmann der Garde zu informieren, dessen Aufgabe der Schutz sowohl des Königs als auch der Königin ist?«
»Ja, Sir«, erwiderte Steldor zögerlich, aber unumwunden.
»Habt Ihr auch nur eine Ahnung davon, welcher Gefahr Ihr Alera und Euch selbst ausgesetzt habt? Die Cokyrier stehen zum Angriff bereit an unseren Grenzen –«
Steldor unterbrach ihn mit einem bitteren Lachen, das mich über seine Kühnheit staunen ließ. »Ich schätze, Ihr wisst inzwischen, dass ich sehr wohl auf mich selbst aufpassen kann. Ich war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr.«
Cannans Erwiderung kam umgehend und unerbittlich. »Muss ich Euch wirklich die Gräber der vielen Hundert hytanischen Soldaten zeigen, die ebenfalls auf sich selbst aufpassen konnten? Du bist nicht Gott , Steldor. Ich habe geschworen, dich mit meinem Leben zu beschützen, und ich habe keinerlei Verlangen danach, wegen deiner Arroganz zu sterben!«
Die Worte des Hauptmannes hallten in der riesigen Halle wider, und Steldor senkte leicht den Kopf. Es schien ihn Überwindung zu kosten, nichts darauf zu erwidern.
»Eure eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen, ist das eine«, fuhr Cannan in etwas geringerer Lautstärke fort, obwohl sein Ton nicht weniger streng klang. Ich begriff, dass er Steldor nicht als Vater tadelte, sondern als Hauptmann, dem sein und mein Schutz oblag. »Aber Ihr habt unsere Königin zahllosen Gefahren ausgeliefert, darunter auch den Cokyriern! Ihr sind die Risiken nicht bewusst, die es bedeutet, die Stadt zu verlassen, aber Ihr solltet Besseres zu tun wissen, als sie sich selbst zu überlassen.«
Einen Moment lang schien der Kampf entschieden, und Cannan machte einen Schritt zurück, vermutlich um sich wieder in sein Dienstzimmer zu begeben. Doch das tat er nicht, und ich fragte mich, ob er noch mit einer Erwiderung seines Sohnes rechnete.
»Und was hätte ich machen sollen?«, schrie Steldor plötzlich und fuchtelte mit den Händen vor Cannan herum, der zurückgewichen war, um nicht getroffen zu werden. »Deine Worte ändern rein gar nichts an der Tatsache, dass sie einfach nicht mitkommen wollte! Hätte ich sie vielleicht bewusstlos schlagen oder auf ihr Pferd binden sollen? Sie ist einfach die dickköpfigste, enervierendste und unleidlichste Frau, die mir je begegnet ist!«
»Das spielt keine Rolle«, parierte Cannan, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. »Als es Euch nicht gelang, sie zur Rückkehr zu bewegen, hättet Ihr sofort Wachen zu ihrem Schutz aussenden sollen. Und natürlich hättet Ihr ihr erst gar nicht allein nachreiten sollen.«
Cannan wartete, wie das aufgenommen würde, und als Steldor keinen Versuch mehr unternahm, sich zu verteidigen, schien er bereit, zu seiner Unterredung zurückzukehren.
»Ich habe meine Bataillonskommandanten nun schon lange genug warten lassen. London, du kommst mit mir.« Er winkte dem Elitegardisten, der sich von der Wand abstieß und in Richtung Wachzimmer ging. Wenigstens dieses eine Mal gehorchte er einem Befehl. Dann wandte Cannan sich noch an
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