Alera 02 - Zeit der Rache
Ausreden und Lügen.«
Ich schloss meinen Mund und spürte einen kleinen Stich, weil er mir nun auch noch vorwarf, unhöflich zu sein. Dabei war es mir nicht so erschienen, als hätte ich seine Rede unterbrochen.
»Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte«, beharrte mein Vater, nahm seine Wanderung wieder auf, unterstrich jedes Wort mit herrischen Gesten und echauffierte sich immer mehr. »Du wurdest anständig und im Hinblick auf deine späteren Pflichten erzogen, doch du benimmst dich nicht besser, als ich es von einem Bauerntrampel erwarten würde. Man hat dich gelehrt, wo dein Platz ist, aber du weigerst dich, ihn einzunehmen. Du kennst die Maßstäbe, die für eine anständige Königin gelten, aber du weigerst dich, ihnen Ehre zu erweisen.« Er blieb abrupt stehen und warf mir einen strengen Blick zu. »Ich bin entsetzt von deiner Affäre mit diesem cokyrischen Jungen.«
Die Kränkung, die bereits in mir aufgeflackert war, verwandelte sich in Zorn, als mein Vater Narian »diesen cokyrischen Jungen« nannte. Doch noch ließ ich mir davon nichts anmerken.
»Du hast dich heimlich mit ihm getroffen, ohne meine Erlaubnis und – dessen bin ich mir sicher – ohne Anstandsdame. Das alles ist inakzeptabel für eine junge Frau von Adel und erst recht für ein Mitglied der Königsfamilie. Ich hatte gehofft, dass du zumindest als gekrönte Königin erwachsen genug wärst, deinen Verpflichtungen nachzukommen. Doch eine Königin zieht sich nicht an wie ein Mann, stiehlt nicht das Pferd ihres Vaters und ist ihrem Ehemann gegenüber nicht ungehorsam.
Das kann so nicht weitergehen, Alera. Dein Verhalten hat Schande über mich gebracht, den König entehrt und das Königreich beschädigt. Ich würde es Steldor nicht verübeln, wenn er Konsequenzen zöge. Nicht einmal, wenn er dich wegsperren würde, bis du zu einem Benehmen fähig bist, das sich für seine Ehefrau geziemt.«
Nachdem er diese letzten Sätze ausgestoßen hatte, funkelte ich ihn mit unverhohlener Feindseligkeit an. Die Wut, die sich in mir aufgestaut hatte, schien sich zu verselbstständigen. Es kam mir vor, als würde ein Phantom in mir wachsen, das in jeder Pore meines Körpers hämmerte und verlangte, hinausgelassen zu werden. Die verletzenden Worte meines Vaters hallten in meinem Kopf wider und wurden zugleich von Cannans entkräftet: »Du bist die Königin, Alera. Du schuldest deinem Vater keine Rechenschaft mehr.«
Unsere so ähnlichen Augen hielten einander fest, während ich mich kerzengerade aufrichtete. Dann kamen Worte aus meinem Mund, die der Situation durchaus angemessen waren.
»Wenn Ihr Euch beschämt fühlt, dann mag das an Eurer eigenen Torheit liegen, nicht an der meinen.«
Die Augenbrauen meines Vaters hoben sich vor Erstaunen.
»So redest du nicht mit deinem Vater!«
»So redet Ihr nicht mit Eurer Königin !«
Der ehemalige König war wie vor den Kopf gestoßen. Meine Rage war wie eine Mauer, mit der er unerwartet und schmerzhaft kollidiert war.
»Ihr wagt es, hierherzukommen und mir meine Unreife vorzuwerfen? Dass ich Euch enttäuscht hätte und inkompetent sei, obwohl Ihr zu eigensüchtig wart, um mir vor der Thronbesteigung mehr Zeit zu gewähren? Nachdem Ihr nicht hören wolltet, dass jeder Mann, den ich liebte, ein geeigneter König wäre? Nachdem Ihr mich in eine Ehe gezwungen habt, zu der ich nicht bereit war? All diese Dinge, die Ihr mir anlastet, habt Ihr ausgeheckt. Ich hätte mich nicht heimlich mit Narian treffen müssen, wenn ich davon hätte ausgehen können, dass Ihr ihn akzeptiert. Ich wäre keine unfähige Königin, wenn Ihr mich nicht auf den Thron gezwungen hättet. Und ich würde Steldor nicht von seinen Pflichten ablenken, hättet Ihr mich nicht zu der Ehe mit ihm genötigt.«
Ich hatte den Raum durchquert und stand nun vor meinem Vater, dessen Mund offen stand, als wolle er sich verteidigen. Doch er schien keine Worte zu finden.
»Ich wünsche mir vielleicht noch mehr als Ihr, dass Ihr diese Entscheidungen besser überdacht hättet«, fügte ich noch scharf hinzu. »Aber nun bin ich Eure Königin. Und Ihr werdet mir den gebührenden Respekt zollen. Fortan werdet Ihr nie mehr in diesem Ton zu mir sprechen.«
Seine erstaunten, leicht glasigen Augen suchten die meinen. Ich wartete noch einen Moment ab, während er Unverständliches murmelte, dann ging ich um ihn herum und verließ das Zimmer.
An diesem Abend wartete ich in unserem gemeinsamen Wohnzimmer auf Steldor und versuchte mir, eingekuschelt in
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