Alera 02 - Zeit der Rache
Steldor vorbeigedrängt hatte. »Dass ich das ausgerechnet von dir hören muss, kränkt mich aber gehörig.«
Er deutete ein Lachen an, wurde jedoch wieder von Schmerzen überwältigt. Dabei sah er meine verängstigte Miene und versuchte, mich zu beruhigen.
»Ich werde schon wieder, Alera.« Sein Blick wanderte zu seinem Kameraden, während er hinzufügte: »Destari ist nämlich ein erstaunlich guter Wundarzt.« Einen Augenblick lang schien er abzudriften, doch er zwang sich zu einem weiteren Satz. »Du solltest wirklich gehen und morgen wiederkommen. Wahrscheinlich werde ich ohnehin den ganzen Tag verschlafen.«
Langsam fielen ihm die Augen wieder zu, aber ich blieb. Wenig später erschien Cannan, um nach seinem verwundeten Stellvertreter zu sehen. Er nahm Destari beiseite, um einige Worte mit ihm zu sprechen, bevor er sich an mich wandte.
»Alera, ich werde mit Bhadran sprechen und einen Heilkundigen kommen lassen, der bei London bleibt. Dann solltet Ihr gehen und Euch ausruhen. Sollte es ihm schlechter gehen, werde ich dafür sorgen, dass Ihr sogleich Nachricht erhaltet.«
Ich nickte dankbar und Cannan ging wieder. Allerdings blieb ich bei London, bis der angekündigte Heilkundige erschien, um meinen Platz einzunehmen. Destari, der nun wieder als mein Leibwächter fungierte, begleitete mich, und so kehrten wir in meine Gemächer zurück. Er ließ sich im Salon nieder, während ich in mein Nachthemd schlüpfte und dann in mein Bett. Bis zum späten Nachmittag schlief ich, dann machte ich mich frisch und suchte das Speisezimmer meiner Familie auf.
Seit Mirannas Entführung hatte ich keine Mahlzeit mehr mit meinen Eltern eingenommen, denn ich hatte den leeren Stuhl meiner Schwester nicht sehen wollen. Meine Eltern erschienen kurz nach mir, und das Haar meines Vaters schien mir deutlich grauer als vor Beginn dieses Albtraums. Sein Gesicht wirkte verhärmt. Im Unterschied dazu, sah meine Mutter in ihrem Kummer sogar noch würdevoller aus.
Nachdem Diener die Platten mit den Speisen serviert hatten, legte sich Schweigen über uns. Jeder sehnte sich nach ein wenig Normalität, doch gleichzeitig brachte keiner die Kraft zu einer simplen, erbaulichen Konversation auf. Als wir zu essen begannen, brach das leise Klirren des Bestecks auf den Tellern die ansonsten lähmende Stille. Das eintönige Geräusch senkte sich so tief in mein Bewusstsein, dass ich wusste, ich würde es noch lange nach dieser Mahlzeit hören.
Nach dem Essen ließ mein Vater verlauten, dass er sich nun zur Ruhe begäbe, aber er verließ den Tisch deutlich langsamer als sonst, um sich in seine Gemächer im zweiten Stock zu begeben.
»Es ist gut, dass du gekommen bist, Liebes«, sagte meine Mutter aufrichtig, während sie sich anschickte, ihrem Gemahl zu folgen. Sie schenkte mir ein kleines Lächeln und fügte noch hinzu: »Wie ich höre, geht es London besser.«
»Ja, das tut es, und wenn er zu Kräften kommt, wächst auch die Hoffnung auf Mirannas Rettung.«
Ich wollte ihre Qual und Traurigkeit wenigstens ein klein wenig lindern, doch stattdessen linderte sie die meine.
»Ich habe die Hoffnung nicht verloren, nur die Zeit, die ich mit ihr hätte verbringen können. Ich bin so froh, dass du wieder unter uns weilst – ich möchte nicht auch noch Zeit mit dir verlieren.«
Sie umarmte mich flüchtig und überließ mich dann meinen Gedanken. Ich kehrte in meine Gemächer zurück und fühlte mich ein wenig besser. Zum einen, weil ich mich ausgeruht hatte, zum anderen, weil ich London auf dem Wege der Besserung sah. Kätzchen begrüßte mich freudig, und so verbrachte ich den Abend mit meinem flauschigen Haustier und einem guten Buch in einen der Ledersessel vor dem Kamin gekuschelt.
Am darauffolgenden Tag ging es London deutlich besser. Seine Stimme klang fester, er atmete leichter. Natürlich brauchte er noch sehr viel Schlaf, also nahm ich mir vor, meinen Besuch kurz zu halten. Während Destari und ich uns mit ihm unterhielten, erschien Bhadran, um nach seinem Patienten zu sehen. Wahrscheinlich hatte er erwartet, auf eine Leiche zu treffen, stattdessen musste der völlig perplexe Arzt zugeben, dass der Gardist sich auf dem Wege der Besserung befand und die Infektionskeime offenbar bei der Entfernung der Pfeilspitzen herausgeblutet waren. Als er kurz darauf wieder ging, schlossen sich Destari und ich ihm an und überließen London wieder der Pflege der heilkundigen Hilfskraft.
Am nächsten Nachmittag saß London bereits gegen einen Stapel
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