Alex Benedict 01: Die Legende von Christopher Sim
beinahe Chase getötet hätte, schließlich ein Opfer ihrer eigenen Skrupellosigkeit geworden war.
Am Ende der Gedenkfeier bemerkte ich Cole, Chase’ Helfer und der Mann, den Quinda gerettet hatte. Er stand allein neben einem Baum. Wir gingen zu ihm hinüber und stellten uns zu ihm. Ein junger Mann, der Quinda verblüffend ähnlich sah, kam zu uns, stellte sich vor (er war Quindas Bruder) und dankte uns, daß wir gekommen seien. Er kenne uns, wisse, daß wir am Ende bei ihr gewesen seien, und bat mich, ein paar Worte an die Gemeinde zu richten. Ich zögerte. Meine Prinzipien verlangten, daß ich diese äußerste Heuchelei vermied.
Doch ich gab trotzdem nach und ging durch die Menge zu dem Tisch. Der Bruder stellte mich mit Namen vor.
»Sie haben schon alles von Belang gehört, was es über Quinda zu sagen gibt«, meinte ich. »Ich habe sie nur am Anfang und dann wieder am Ende ihres kurzen Lebens gekannt. Und vielleicht sollte ich dem, was an diesem Nachmittag hier gesagt wurde, lediglich hinzufügen, daß sie nicht zögerte, ihr Leben für einen Menschen zu opfern, dessen Namen sie nicht einmal kannte.«
Eine Stunde später betrat ich, im Besitz eines Gerichtsbeschlusses und in Begleitung des Nachlaßverwalters, zögernd Quindas Quartier und suchte nach dem Tanner-Speicher. Er war nicht dort.
Ich hatte auch nicht gehofft, ihn dort zu finden. Wir erfuhren niemals, was sie damit gemacht hatte.
Ich bat den Nachlaßverwalter und später die Familie um Zugang zu ihren privaten Papieren; angesichts der Tatsache, daß ich mit einem Gerichtsbeschluß gekommen war, sicher eine Bitte, die sie nicht unbedingt erfüllen würden. Sie weigerten sich aus verständlichen Gründen, und ein paar Tage nach ihrem Tod wurden gewisse private Unterlagen nach dem letzten Willen der Verstorbenen verbrannt.
Ich vermute, daß sie indirekte Beweise für ihre Komplotte enthielten, wahrscheinlich Unterlagen darüber, wie sie die Simulationen manipuliert hatte. Auf jeden Fall tröstete ich mich mit dem Wissen, daß der Fundort des Artefakts nicht ebenfalls verbrannt wurde – sie hatte darüber offensichtlich nicht mehr gewußt als ich auch.
An diesem Abend gab es zwei wichtige Neuigkeiten. Patrouillen in strittigen Grenzgebieten waren wieder in Gefechte verwickelt worden. Einige Beobachter waren der Ansicht, eine Regierung, die die politische Macht der Separatisten in der Konföderation untergraben wolle, würde gezielt Panik schüren.
Bei der anderen Nachricht handelte es sich um eine Mitteilung Ivanas. Hugh Scotts Haus auf Fischschüssel war verkauft worden.
Der Erlös war auf ein Konto auf Dellaconda überwiesen worden! Wie angemessen, daß man den fanatischen Scott nun endlich auf Christopher Sims Heimatwelt finden konnte.
Ich war wieder unterwegs.
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Die Legende, Maurina sei kaum mehr als ein Kind gewesen, als sie Christopher Sim heiratete, ist nachweislich unwahr. Sie war in Wirklichkeit seine Unterweiserin in klassischer griechischer und platonischer Philosophie. Und ihre Beherrschung dieser schwierigen Disziplinen auf einer Grenzwelt deutet nicht gerade auf eine extreme Jugend hin.
Ihre Hochzeit fand im Schatten sporadischer Zusammenstöße mit den Ashiyyur statt. Und als diese Zusammenstöße schließlich zu einem allumfassenden Krieg aufflackerten, brach Christopher zu seinem Bruder Tarien auf und versprach seiner Braut, nur Gott könne seine Rückkehr verhindern.
Wie sich herausstellte, sollte kein Bruder die schneebedeckten Gipfel oder die breiten Flüsse von Dellaconda jemals wiedersehen. Als nach über drei Jahren die Nachricht über die Katastrophe bei Rigel und den Verlust ihres Gatten eintraf, brach Maurina zu einer Wanderung über die einsamen Bergpfade auf.
Anscheinend hat sie die Hoffnung, daß er noch lebte und zurücklehren würde, niemals aufgegeben. Selbst nach Kriegsende, als die Männer und Frauen, die in ihm gekämpft hatten, die Handvoll der dellacondanischen Überlebenden, nach Hause zurückkehrten, hoffte sie weiter. Ihre Familie und Freunde verloren die Geduld und mieden sie mit der Zeit.
Sie wurde für nächtliche Reisende ein vertrauter Anblick; ihre schlanke Gestalt erschreckte sie oft, wie sie, in einen langen, silberfarbenen Umhang gehüllt, unter dem harten Mond über den Altschnee glitt.
Und schließlich kam, wie alle es erwartet hatten, die Nacht, in der sie nicht zurückkehrte. Sie fanden sie im Frühling, am Fuß des Steilabbruchs, der nun ihren Namen trägt.
Heute
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