Alex Benedict 03: Die Suche
Ihre Gesellschaft hätte alle Beschränkungen abgeworfen bis auf die, die ihr durch Mitgefühl oder gesunden Menschenverstand diktiert wurden. Bei der Bildung hätte man Wert auf Wissenschaft und Philosophie gelegt und die Bedeutung des unabhängigen Denkens betont. Alles dürfte in Frage gestellt werden. Professionelle Politiker würden nicht zugelassen werden.
Hörte sich gut an. Aber wir sind alle darauf konditioniert, dass utopische Vorstellungen, nun ja, eben utopisch sind. Utopias müssen unausweichlich untergehen.
Ich saß auf der Brücke der Belle-Marie und sah zu, wie Takmandu allmählich zu einer Scheibe anwuchs. Backbord konnte ich die großen Sternenwolken der Verschleierten Dame einschließlich jener kleinen nebelhaften Gruppe erkennen, die als ihr rechtes Ohr bekannt war. Das war der Versinjianische Haufen, in dem, vollkommen ungesicherten Legenden zufolge, die Margolianer ihre Kolonie errichtet hatten. Aber diese Gruppe umfasste Zehntausende von Sternen. Ich fragte mich, ob ich womöglich in genau diesem Augenblick das Licht der margolianischen Sonne sehen konnte.
Die Josef-Hennessy-Stiftung unterhält ein Betriebsbüro im Orbit. Ich hatte mich im Voraus gemeldet und unter Verweis auf Nachforschungen um einen Termin gebeten, worauf man mir erklärte, man freue sich sehr, mich begrüßen zu dürfen.
Takmandu ist ein Außenposten. Kein Ort im Gemeinwesen der Konföderation liegt näher am Stummenland. Die ashiyyurische Welt Kappalani ist keine drei Lichtjahre entfernt, also rechnete ich damit, über irgendwelche Anzeichen für ihre Anwesenheit zu stolpern. Vielleicht ein angedocktes Schiff. Oder vielleicht ein paar Stumme, die durch die Gänge der Station streiften.
Aber dergleichen geschah nicht. Später fand ich heraus, dass tatsächlich dann und wann Stumme zu Besuch kamen, doch solche Ereignisse schienen die Vertreter beider Seiten jedes Mal zutiefst zu erschüttern, was zu einer Übereinkunft zwischen beiden Parteien geführt hatte. Wenn die Stummen kamen, wurden sie über abgesperrte Wege von ihren Schiffen eskortiert, und mit Ausnahme der Eskorte, deren Angehörige eine spezielle Ausbildung erfahren hatte, bekam niemand sie zu sehen.
Die Takmandu-Station ist vermutlich die größte funktionstüchtige Orbitalstation, die ich je gesehen hatte. Der großartige Ausblick auf die Verschleierte Dame zieht Tausende von Besuchern an. Außerdem befindet sich mit Gamma ganz in der Nähe eine Flottenbasis, weshalb es neben einem massiven Verkehrsaufkommen auch eine große Anzahl von Touristenunterkünften gab. In den öffentlichen Bereichen der Station waren lauter Clubs und VR-Räume, und es gab sogar ein echtes Theater.
Ich nahm mir ein Zimmer in einem der Hotels, duschte, zog mich an und zog los, um mich meiner Arbeit zu widmen.
Auf den verschiedenen Decks finden sich eine Unmenge an industriellen, operativen und wissenschaftlichen Vertretungen, die die breiten, grellfarbigen Gänge säumen, die sich in sanften Kurven durch die Station ziehen.
Die Stiftung residierte zwischen einer Reiseagentur und einer Erste-Hilfe-Station. Drinnen konnte ich eine Frau sehen, die an einem Schreibtisch saß und offenbar vollkommen in die Betrachtung eines Monitors vertieft war. Ein Banner beherrschte die Wand hinter ihr. Darauf war zu lesen: UNSERE FREUNDE DIE ASHIYYUR. Ich hielt vor der Tür inne und sagte ihr, wer ich war, worauf selbige mir erklärte, sie freue sich, mich zu empfangen, und öffnete.
Die Frau am Schreibtisch blickte auf. »Ms Kolpath«, sagte sie. »Willkommen bei der Hennessy-Stiftung.« Sie legte den Kopf schief. »Oder heißt es Dr. Kolpath?«
»Ms ist völlig in Ordnung. Chase geht auch.«
»Na dann, hallo, Chase.« Sie streckte eine Hand aus. »Ich bin Teesha Oranya.« Sie hatte rotes Haar und lebhafte blaue Augen mit der unterdrückten Energie einer Sozialarbeiterin. »Wie können wir Ihnen helfen?«
»Ich interessiere mich für die Stiftung«, sagte ich. »Dürfte ich Ihnen vielleicht ein paar Fragen stellen?«
»Natürlich, fragen Sie nur.«
»Sie versuchen bessere Beziehungen zu den Stummen aufzubauen. Wie genau gehen Sie in diesem Punkt vor?«
»Den Ashiyyur.« Einen Moment lang sah sie gequält drein, als wäre gerade ein weiterer Eiferer vor ihrer Nase aufgetaucht. »Im Grunde versuchen wir, die Kommunikation aufrechtzuhalten. Wir reden mit ihnen. Wir bilden andere Leute dazu aus, mit ihnen zu reden. Und wir lernen, über die Unterschiede hinwegzusehen.«
»Was sind das
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