Alex Benedict 04: Das Auge des Teufels
ich passte nicht auf, weshalb ich beinahe auf die Nase gefallen wäre. Die Erscheinung wich zurück. Glitt tiefer in den Wald hinein. Ich folgte ihr.
Das Gras war härter als das, was wir zu Hause hatten, und es knisterte unter den Füßen. Es gab keinen erkennbaren Weg; ich musste mich so gut wie möglich durch Büsche voller Dornen schlagen und mich an Ranken vorüberschieben, die, wenn sie meine Haut berührten, ein sonderbares Kribbeln verursachten. Ich zog die Hände in die Jackenärmel.
Dann verschwand das Phänomen erneut.
Ich richtete die Lampe auf die Bäume, sah nichts und sagte mir, zum Teufel damit! Genug war genug!
Ich machte mich auf den Rückweg. Und entdeckte es hinter mir.
Etwa zehn, zwölf Schritte entfernt. Eine Böe rüttelte am Geäst, wirkte sich aber nicht auf die Erscheinung aus. Ich war nicht sicher, ob ich es vorher schlicht nicht bemerkt hatte. Aber nun sah ich, dass das Etwas pulsierte, heller und dunkler wurde. Im Einklang mit meinem Herzschlag.
Ich war die Frau in der Geschichte vom Geisterhaus, die ein sonderbares Licht im Obergeschoss sieht und hinaufgeht, um nachzusehen, was da vor sich geht. Auch jetzt empfand ich keine echte Furcht, so sehr war ich davon überzeugt, dass das alles nur Schwindel wäre. Ich wusste, wusste mit absoluter Sicherheit, dass jemand diese Sache steuerte. Jemand, der ganz in der Nähe sein musste. Dennoch legte ich die Hand auf den Lauf meines Scramblers.
Irgendwo läutete eine Glocke. Zweimal. Dreimal. Vermutlich im Zentrum. Vielleicht ein vorüberfahrendes Boot.
Die Erscheinung verharrte an Ort und Stelle. Sie bewegte sich nicht, schwebte nur einfach vor mir. Und ich ertappte mich dabei, erneut an Ceily zu denken.
An ihren letzten Tag.
Man hatte mir gesagt, ich dürfe sie nicht aus dem Haus lassen. Kätzchen sind, so hatte mein Vater mich gewarnt, im Freien nicht sicher. Wir lebten am Waldrand, und im Wald gab es etliche Raubtiere. Aber sie wollte immer raus, versuchte immer, sich an mir vorbeizuschleichen, wenn ich die Tür öffnete, und ich kam mir schlecht, verachtenswert vor, weil ich sie drinnen festhielt. Und so öffnete ich ihr eines Tages die Tür.
Sie folgte mir hinaus in den Vorgarten, wo wir so viel Spaß miteinander hatten, dass ich es am nächsten Tag wieder tat. Ich weiß nicht, warum mir so klar im Gedächtnis geblieben ist, dass es der zweite Tag war, nicht der erste. Wir waren gerade ein paar Minuten draußen und ich sah ihr zu, wie sie über den Boden schlich, als wollte sie einen der Vögel im Futterhäuschen überfallen. In diesem Augenblick tauchte wie aus dem Nichts ein Yakim auf, packte sie mit seinen Klauen und entschwand mit ihr in den Himmel. Das Letzte, was ich von Ceily zu sehen bekam, waren ihre großen Augen, die mich fixierten, mich anflehten, ihr zu helfen. Binnen Sekunden waren Yakim und Kätzchen zwischen den Baumwipfeln verschwunden, und ich rannte schreiend hinterher.
Natürlich habe ich sie nie gefunden, aber ich lief und schrie, bis ich nicht mehr konnte. Dann erst wurde mir klar, dass ich nicht wusste, wie ich zurückfinden sollte. Und es wurde allmählich dunkel.
Es dauerte einige Stunden, bis ich endlich ferne Stimmen hörte, die meinen Namen riefen. Ceilys Verlust markierte den einzigen Zeitpunkt in meinem Leben, an dem ich am liebsten gestorben wäre.
Und in dieser Nacht, in einem Wald auf Salud Afar, kehrte all das zu mir zurück, überfiel mich, als wäre alles zugleich passiert, Ceily in den Klauen des Yakim, die Augen rund und voller Angst, mein Herz, das so laut klopfte, dass ich kaum atmen konnte, der Wald, der sich meilenweit in alle Richtungen erstreckte, die dumpfen, toten Laute des Waldes, die Stimmen, irgendwo hinter mir.
Ich kämpfte gegen die Tränen und dachte daran, wie Ceily die Welt in jenen letzten Minuten erlebt haben musste, wie allein sie sich gefühlt haben musste. Und ich tauschte den Platz mit ihr und flog mit dem Yakim, und während der Boden unter mir zurückfiel, wusste ich, die Klauen könnten mich jeden Moment zerreißen. Wusste, dass ich allein war.
Dann war plötzlich Alex da und hielt mich aufrecht, fragte mit angsterfüllter Stimme, was passiert sei.
Ich weiß nicht genau, was ich gesagt habe, aber seine Reaktion bestand darin, mich nach Ceily zu fragen. »Sag das noch mal: Wer ist sie?«
Er sah irgendwie verschwommen aus. »Wo ist es?«, fragte ich.
»Wo ist was?«
»Das Licht!«
Er dachte, ich spräche von meiner Lampe, die auf dem Boden lag, während ihr
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