Alex Benedict 04: Das Auge des Teufels
umliegenden Flugplätze zu überreden, den Luftverkehr in dem betroffenen Gebiet zu überwachen – um falschen Alarm zu vermeiden, hatte es geheißen. Das brachte ihnen eine Menge öffentlicher Aufmerksamkeit ein, und natürlich wurde das Flugzeug gesichtet. In manchen Jahren waren sogar zwei oder drei Geisterflugzeuge gesehen worden. »Die Kinder«, so verriet uns ein Ladenbesitzer in einem Augenblick ungezügelter Rechtschaffenheit, »lieben es!«
Der interessanteste Ort, den wir besuchten, war in meinen Augen das Zeitlabor in Jesperson. Es liegt mitten im Wald und ist heute kaum noch mehr als eine Ruine. Ursprünglich erbaut wurde es vor acht Jahrhunderten. Die Regierung hatte das Projekt eine Weile finanziert, aber das Labor konnte keine Erfolge verzeichnen. Schließlich wurde das Projekt, so jedenfalls erzählte man sich, aufgegeben und das Labor blieb verlassen zurück.
Die Bürger der Stadt beharren jedoch darauf, dass die Wissenschaftler einen Durchbruch erzielt hätten, dass aber die Projektleiter, mit der Möglichkeit konfrontiert, durch die Zeitalter zu reisen, zu der Ansicht gelangt seien, dergleichen sei zu gefährlich. Also verheimlichten sie die Wahrheit. Einige der Wissenschaftler jedoch verschwanden in Vergangenheit oder Zukunft. Die Leute in der Umgebung erzählten, sie würden von Zeit zu Zeit immer noch auf dem alten Laborgelände auftauchen. Achthundert Jahre waren vergangen, doch glaubte man den Erzählungen, so waren sie immer noch jung.
»Na ja«, erzählte eine Kellnerin im Copper Club uns, »Gene Korashevski war erst letzte Woche hier!«
»Wer ist Gene Korashevski?«
»Einer der Forscher. Er lebt im Carassa-Zeitalter.«
»Lebt? Sie meinen, er lebt immer noch? Nach achthundert Jahren?«
»Im Carassa-Zeitalter. Ja.«
Alex konnte sich nicht zügeln. »Vom Carassa-Zeitalter habe ich noch nie gehört«, sagte er. »Wann war das?«
»Es ist noch nicht eingetreten.« Sie war gut. Sie sprach, als wäre das alles völlig normal. So, wie man vielleicht jemandem erzählen würde, dass man Katzen sammele.
Später, als wir allein am Tisch saßen und zu Mittag aßen, träumte Alex laut davon, wie schön es wäre, könnte man durch die Zeit reisen.
»Was würdest du tun, wenn du es könntest?«, fragte ich. »Wohin würdest du reisen?«
Er war ganz verliebt in die Idee. »Stell dir doch einfach nur vor, was wir tun könnten! Wir könnten zum Beispiel in die Vergangenheit reisen und den Becher bergen, in dem Sokrates’ Gift war! Kannst du dir auch nur entfernt vorstellen, was der wert wäre?«
»Alex, ist das wirklich das Beste, was dir zu einer Zeitmaschine einfällt? Wie wäre es denn, noch ein paar Jahre weiter zurückzugehen und mit Sokrates zu sprechen? Ihn vielleicht zum Essen einzuladen?«
»Ich spreche kein Altgriechisch.«
»Tja«, meinte ich, »ich schätze, das ist ein Argument!«
»Und wäre es nicht schön, eine frühe Version von Erstes Licht zu haben?«
Erstes Licht. Das Meisterwerk von Saija Brant, der größten Dramatikerin aller Zeiten.
»Ich glaube, ich zöge es vor, eine Chance zu bekommen, hallo zu Saija Brant zu sagen.«
Unser Salat wurde serviert. Alex studierte ihn einen Moment lang, ehe er aufblickte. »Du hast einfach keine Fantasie, Chase!«
15
Es gibt nichts Übernatürliches. Alles ist per definitionem natürlich. Aber wir müssen herausfinden, welche Regeln dem zugrunde liegen.
Tödliche Liebe
Irgendwann waren wir Vickis Spur bis nach Livingstone gefolgt, jenem zweihundert Jahre alten Anwesen von Borgas Cleev, auf dem der Diktator sich damit vergnügt hatte, jeden, der ihm in die Quere gekommen war, höchstpersönlich mit Geschossen oder Laserstrahlen zu traktieren. Den Legenden zufolge waren hier noch heute in windigen Nächten, wenn Callistra den Himmel beherrschte, die Schreie seiner Opfer zu hören. Aber hier erkaltete die Spur. Irgendwie hatte Vicki es so hingebogen, dass sie eine Nacht in dem Herrenhaus hatte verbringen können. Am folgenden Tag hatte sie mit einigen Ortsansässigen gesprochen und war abgereist.
Von da an konnten wir keine weiteren Hinweise auf ihren Verbleib finden. Wir streiften durch die Gegend, sprachen mit Buchhändlern, Bibliothekaren, Polizisten, Journalisten, mit jedem, der uns auf der Straße über den Weg lief. Einige Leute bestätigten, sie seien ihr begegnet, wenige erzählten, dass sie mit ihr gesprochen hätten. Sie sei in guter Stimmung gewesen, so sagten sie uns. Aber wir fanden nicht den
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