Alex Cross 05 - Wer Hat Angst Vorm Schattenmann
offenbar, wer ich war. Angeblich machte sie eine Blitzkarriere. Sie war eine kluge und einsatzfreudige Beamtin bei der Mordkommission, allerdings eine einsame Wölfin, wie ich gehört hatte. Meines Wissens hatte sie keine Freunde im Dezernat.
Sie war hübscher als in meiner Erinnerung. Sie war sehr schlank, sportlich, schätzungsweise Anfang dreißig, kurzes blondes Haar und durchdringende blaue Augen, die mich durch den Dunst in dem kleinen Restaurant anblickten.
Sie hatte für unser Treffen leuchtend roten Lippenstift aufgetragen; vielleicht trug sie ihn aber auch immer. Ich fragte mich, was sie dachte und welche Motive sie bewegten. Ich glaubte nicht, dass ich ihr trauen konnte.
»Erst Sie oder erst ich?«, fragte Detective Hampton, nachdem wir Kaffee bestellt hatten. Wir saßen im City Limits an einem Tisch in der Nähe des Fensters, von dem man auf die Connecticut Avenue schauen konnte.
»Ich fürchte, ich habe keine Ahnung, worum es geht«, sagte ich.
Sie trank einen Schluck Kaffee und beäugte mich über den Tassenrand. Sie war ein Mensch mit starkem Willen und Selbstvertrauen. So viel verrieten mir ihre Augen.
»Wussten Sie wirklich nicht, dass ein anderer an den Jane-Namenlos-Fällen arbeitet?«
Ich schüttelte den Kopf. »Pittman hat erklärt, die Fälle wären ad acta gelegt. Das habe ich ihm abgenommen. Er hat ein paar fähige Kollegen vom Dienst suspendiert, weil sie in ihrer Freizeit in den Jane-Namenlos-Morden ermittelt haben.«
»Im Dezernat laufen ‘ne Menge üble Spielchen. Aber das ist ja wohl nichts Neues«, sagte sie und stellte die Tasse ab. Dann seufzte sie tief. »Ich dachte, ich käme allein mit den Ermittlungen klar. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Pittman hat Ihnen die Jane-Namenlos-Fälle zugeteilt? Persönlich?«
Sie nickte, dann wurden ihre blauen Augen schmal. »Er hat mir die Morde an Glover und Cardinal übertragen und alle weiteren, die ich mir ansehen wollte. Er hat mir grünes Licht gegeben.«
»Sie sagten, Sie haben etwas herausgefunden.«
»Vielleicht. Ich habe einen möglichen Verdächtigen. Geoffrey Shafer. Er ist in ein Rollenspiel verstrickt, bei dem Opfer ermordet werden, hauptsächlich im Southeast. Der Mann könnte die Zeitungsartikel gelesen und entsprechende Fantasievorstellungen entwickelt haben. Er arbeitet bei der Britischen Botschaft.«
Diese Information war neu für mich, und ich war verblüfft.
»Wie weit sind Sie mit dieser Sache gegangen?«
»Nicht zu Pittman, falls Sie das meinen. Ich habe einige diskrete Nachforschungen über den Verdächtigen angestellt. Das Problem ist, dass er ein ehrbarer Bürger zu sein scheint. Sehr gut in seinem Job – angeblich. Zumindest ist das die offizielle Stellungnahme der Britischen Botschaft. Nette Familie in Kalorama. Ich habe Shafer ein bisschen beschattet und auf mein Glück gehofft.«
Ich hatte gehört, dass Patsy Hampton ein ziemlich scharfes Mundwerk haben konnte und sich nicht gern mit Schwachköpfen abgab. »Sind Sie jetzt hier allein?«, fragte ich.
Patsy zuckte mit den Schultern. »So gehe ich für gewöhnlich vor. Partner behindern mich nur. Chief Pittman weiß, wie ich am liebsten arbeite. Er hat mir grünes Licht gegeben. Vollkommen grünes Licht, vierundzwanzig Stunden am Tag.«
Ich wusste, sie wartete darauf, dass ich ihr Informationen gab – falls ich welche hatte. Ich beschloss, mich darauf einzulassen. »Wir haben ein Taxi gefunden, das der Mörder offenbar im Southeast benutzt hat. Er hat es immer in einer Garage in Eckington geparkt.«
»Hat jemand den Verdächtigen in der Gegend gesehen?«, stellte sie die erste richtige Frage.
»Die Vermieterin. Ich würde ihr gern Fotos von Ihrem Typen zeigen. Oder möchten Sie das selbst erledigen?«
Ihr Gesicht war ungerührt. »Ich mach’s selbst. Gleich morgen früh. Gab es irgendwas Interessantes in der Wohnung?«
Ich wollte ihr gegenüber aufrichtig sein. Schließlich hatte sie das Treffen vorgeschlagen. »Eine Wand im Schrank war mit Fotos von mir und meiner Familie gepflastert. Er hat die Bilder auf Bermuda aufgenommen, als wir dort Urlaub machten. Er hat uns die ganze Zeit beobachtet.«
Patsy Hamptons Gesicht wurde weicher. »Ich habe gehört, dass Ihre Verlobte auf Bermuda verschwunden ist. So etwas spricht sich herum.«
»Auch von Christine waren Fotos dabei«, sagte ich.
Ihre blauen Augen wurden traurig, und ich erhaschte einen raschen Blick hinter ihre harte Fassade. »Das tut mir leid.«
»Noch habe ich nicht
Weitere Kostenlose Bücher