Alex Cross 07 - Stunde der Rache
aber jetzt war ich wild entschlossen. Ich wollte mich wieder verlieben, wenn das möglich war, mein Leben verändern und zur Ruhe kommen. Ich nehme an, das wollen die meisten Menschen. Gelegentlich hörte ich meine Tanten sagen: »Armer Alex, er hat niemanden, den er lieben kann. Ganz allein, der arme Junge.«
Das war nicht ganz richtig. Armer Alex, Blödsinn. Ich habe Damon, Jannie und Klein-Alex. Außerdem habe ich Nana. Und ich habe in Washington viele gute Freunde. Ich schließe schnell Freundschaften – wie mit Jamilla Hughes. Bis jetzt hatte ich auch keine Schwierigkeiten, mich zu verabreden. Bis jetzt.
Macy Francis und ich kannten uns schon, seit wir kleine Kinder waren und in derselben Nachbarschaft aufwuchsen. Macy hatte in Howard und Georgetown Englisch und Pädagogik studiert. Ich besuchte zuerst Georgetown. Meinen Doktor in Psychologie habe ich an der John Hopkins University gemacht.
Vor etwa einem Jahr kam Macy zurück in die Gegend von Washington, um in Georgetown englische Literatur zu unterrichten. Wir trafen uns auf einer von Sampsons Partys wieder. An dem Abend unterhielten wir uns eine Stunde lang, und ich stellte fest, dass ich sie immer noch mochte. Wir kamen überein, uns bald wieder zu treffen.
Ich rief Macy an, nachdem ich von meiner grauenvollen Fahrt nach Kalifornien zurückgekommen war. Wir trafen uns im 1789 Restaurant zum Essen und auf ein paar Drinks. Macy hatte es ausgesucht, weil es in der Nähe ihrer Wohnung in
Georgetown lag.
Das Restaurant ist eine Villa im strengen Stil des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts an der Thirtysixth und Prospect. Ich kam als Erster, Macy ein paar Minuten später. Sie gab mir zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange, ehe wir uns in eine gemütliche Nische setzten. Mir gefiel die flüchtige Berührung ihrer Lippen und der Zitronenduft ihres Halses. Sie trug einen Rollkragenpullover, ärmellos, und einen engen schwarzen Rock, dazu Wildlederpumps mit hohem Absatz. In den Ohren glitzerten kleine Diamantenstecker.
So lange ich mich zurückerinnern kann, war Macy immer gut angezogen gewesen. Sie sah immer attraktiv aus, und ich hatte das wohl immer bemerkt.
»Ich werde dir ein Geheimnis anvertrauen«, sagte Macy, sobald wir den Wein bestellt hatten. »Ich habe dich auf John Sampsons Party gesehen und gedacht: Alex Cross sieht besser aus denn je zuvor. Tut mir Leid, aber das ist mir durch den Kopf geschwirrt.«
Wir lachten beide. Ihre Zähne waren ebenmäßig und strahlend weiß. In ihren braunen Augen blitzte Intelligenz. Sie war immer Klassenbeste gewesen. »Ich habe das Gleiche über dich gedacht«, gestand ich ihr. »Gefällt dir dein neuer Job in Georgetown? Gefällt dir der Unterricht? Lassen die Jesuiten dich in Ruhe?«
Sie nickte. »Mein Vater hat mir mal gesagt, dass man Glück hat, wenn man etwas findet, das man gern tut. Und es sei ein Wunder, wenn man jemanden findet, der einen für diese Arbeit bezahlt . Ich habe beides gefunden, schätze ich. Und wie steht's bei dir?«
»Na ja, ich bin nicht sicher, ob ich meine Arbeit liebe oder ob ich nur süchtig danach bin«, antwortete ich. »Nein, meistens macht mir die Arbeit Freude.«
»Du – ein Workaholic?«, fragte Macy. »Sag mir die Wahrheit.«
»O nein … na ja, vielleicht … in manchen Wochen bin ich das.«
»Aber nicht in dieser Woche? Zumindest nicht heute Abend.«
»Nein, diese Woche war ziemlich locker. Und heute Abend bin ich völlig entspannt. Ich brauche unbedingt mehr davon«, sagte ich und lachte.
»Du siehst entspannt aus, Alex. Es ist so schön, dass wir uns wieder getroffen haben.«
Macy und ich plauderten weiter. Ein paar Gäste aßen an einem langen Tisch, aber ansonsten war es sehr ruhig. Die Eltern von Studenten in Georgetown führten die Sprösslinge öfter ins
1789 zu einem besonderen Essen aus. Das Restaurant war etwas Besonderes. Ich war froh, dass ich Macy gerade hier wiedersah. Sie hatte eine gute Wahl getroffen.
»Ich habe mich bei einigen Freundinnen über dich erkundigt«, gestand sie und lachte. »Alex Cross ist ›nicht zu haben‹, meinten einige. ›Er ist eine Art Kokosnuss‹, sagte eine Schwester. Die meisten Mädels meinten, du seist total verrückt. Aber – bist du das ?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die Menschen sind komisch. Ständig müssen sie über andere ihr Urteil fällen. Ich lebe immer noch in der alten Nachbarschaft. Im Southeast leben keine Kokosnüsse. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste.«
Macy stimmte mir zu. »Du hast Recht.
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