Alex Cross 07 - Stunde der Rache
hatten entschieden, die Information, dass es mehr als nur ein Mörderpaar sein könnte, unter Verschluss zu halten. Dafür waren Kalifornien und Nevada noch nicht reif.
Kyle Craig beschloss, die nächsten Tage an der Westküste zu bleiben. Selbstverständlich galt das auch für mich. Ich hatte keine Wahl. Der Fall war zu heiß und schien von Tag zu Tag heißer zu werden. Über tausend Polizisten der örtlichen Polizei und Agenten des FBI waren an der Aufklärung beteiligt. Dann hörten die Morde unvermittelt auf. Die Vorgehensweise hatte sich scheinbar gesteigert, die Mörder schienen waghalsiger geworden zu sein, und dann hatten sie sich einfach in Luft aufgelöst. Doch vielleicht fanden wir bloß die Leichen nicht mehr.
Ich sprach täglich mit Profilern in Quantico, aber keiner von ihnen vermochte ein Verhaltensmuster zu erkennen, das Sinn ergab. Jamilla Hughes konnte ebenfalls nicht mit irgendwelchen interessanten Hinweisen oder Theorien dienen. Alle standen vor einem Rätsel.
Die Mörder hatten schlichtweg aufgehört zu morden.
Warum? Was spielte sich ab? Hatte die Öffentlichkeit sie verprellt? Oder gab es einen anderen Grund? Wohin waren die Mörder verschwunden? Wie viele waren es?
Es war Zeit für mich, nach Hause zu gehen, und das waren gute Neuigkeiten. Kyle stimmte mir zu. Ich flog zurück nach Washington, mit dem unguten Gefühl, versagt zu haben. Am Montag kam ich gegen vier Uhr nachmittags zurück in mein Haus an der Fifth Street. Die Fassade sah ein wenig schäbig aus, aber es wirkte gemütlich. Ich überlegte mir, dass ein Außenanstrich fällig war. Die Regenrinnen mussten auch gereinigt und überholt werden. Ich freute mich irgendwie auf diese Arbeiten.
Niemand zu Hause. Niemand da. Ich war vierzehn Tage lang fort gewesen.
Ich hatte die Kinder überraschen wollen, aber das war wohl eine schlechte Idee gewesen, und schlechte Ideen hatte ich in letzter Zeit jede Menge gehabt.
Ich wanderte durchs Haus und betrachtete all die kleinen Dinge, die sich verändert hatten, seit ich weggefahren war. Bei dem Rage-Razor der Kinder war ein Hinterrad zerbrochen. Damons weißes Chorgewand hing, frisch aus der Reinigung, in einer Plastikhülle, über dem Treppengeländer.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Das stille, leere Haus war keine Hilfe. Ich betrachtete die wenigen gerahmten Fotos an den Wänden. Mein Hochzeitsbild mit Maria. Schulfotos von Damon und Jannie. Schnappschüsse von Klein-Alex. Ein offizielles Foto des Knabenchors, das ich in der National Cathedral gemacht hatte.
»Daddy ist wieder da. Daddy ist wieder zu Hause«, summte ich, als ich oben in die Schlafzimmer schaute.
Da niemand anwesend war, den es hätte stören können, sang ich alte Rock'n'-Roll-Songs, um in bessere Stimmung zu kommen. Das Capitol und die Library of Congress waren leicht zu Fuß zu erreichen. Ich wusste, dass Nana die Kinder gern dorthin brachte. Vielleicht waren sie dort?
Ich seufzte und fragte mich wieder einmal, ob es an der Zeit wäre, die Polizeiarbeit an den Nagel zu hängen. Aber da war ein Haken: Ich liebte meine Arbeit immer noch leidenschaftlich, obwohl ich an der Westküste versagt hatte. Für gewöhnlich erzielte ich einigermaßen gute Resultate. Jedenfalls in den vergangenen Jahren. Das FBI hatte mich bei einigen der schwierigsten Fälle hinzugezogen, doch jetzt hatte ich das Gefühl, dass mein Ego ein paar blaue Flecke abbekommen hatte. Ich hörte mit dieser beschissenen Nabelschau auf. Einfach so. Ich ging nach unten in die Küche und holte mir eine Cola aus dem Kühlschrank. Nana hatte einige der Meisterwerke der Kinder an die Tür geklebt. »Begegnung in der inneren Galaxis« von Damon und »Marinna Scurry rettet den Tag – wieder mal« von Jannelle.
Auf dem Küchentisch lag ein Buch. Zehn Möglichkeiten, das Leben schwarzer Frauen zu ruinieren. Nana hatte sich offenbar leichte Lektüre vorgenommen. Ich warf einen Blick hinein, ob ich eine dieser zehn Möglichkeiten war.
Ich schlenderte in den Wintergarten. Die Katze Rosie schlief auf Nanas Schaukelstuhl. Sie gähnte, als sie mich sah, stand aber nicht auf, um um meine Beine zu streichen. Ich war zu lang fort gewesen.
»Verräterin«, sagte ich zu Rosie. Dann ging ich zu ihr und kraulte sie am Nacken, was ihr zu gefallen schien.
Ich hörte Schritte auf der vorderen Veranda, ich ging in die Diele und machte die Tür auf. Licht meines Lebens.
Jannie und Damon sahen mich und kreischten: »Wer sind Sie? W as machen Sie in unserem
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